1882, Briefe 185–366
237. An Lou von Salomé in Hamburg
<Naumburg, 7. Juni 1882>Mittwoch
Meine liebe Freundin,
auch ich war, gleich Ihnen, recht krank und, wie ich ausgerechnet habe, vom gleichen Tage an; das giebt mir eine Art von bittrer Genugthuung — es ist mir ganz unerträglich, Sie mir allein leidend zu denken.
Von Overbecks kam ein acht Seiten langer Brief an; darin war viel Liebe und Bewunderung für Sie und viel Sorgfalt und Besorgniß für uns Beide. Das ist nichts Geringes, daß der gute Menschenverstand solcher nüchternen und braven Freunde unserem Vorhaben günstig ist. — Sonst halte ich es jetzt für nothwendig, über dieses Vorhaben auch gegen die Nächsten und Besten schweigsam zu sein: weder Frau Rée in Warmbrunn, noch Frl. v. Meysenbug in Bayreuth, noch meine Angehörigen sollen sich über Dinge ihre Köpfe und Herzen zerbrechen, denen wir, wir, wir gewachsen sind und sein werden; während sie für Andere gefährliche Phantastereien sein dürften. —
Für Berlin und Grunewald war ich so bereit, daß ich jede Stunde abreisen konnte. Also erst nach Bayreuth werden wir uns wiedersehn? Und auch dann nur „vielleicht“? Warmbrunn ist kein Ort für mich; auch scheint es mir räthlicher, unsre Dreieinigkeit in diesem Sommer nicht so offen zur Schau zu tragen, wie dies ein Aufenthalt in Warmbrunn mit sich bringen würde: — zum Besten unserer Herbstund Winterpläne. Ich bin in diesem Deutschland viel zu bekannt.
Auch ich habe jetzt Morgenröthen um mich, und keine gedruckten! Was ich nie mehr glaubte, einen Freund meines letzten Glücks und Leidens zu finden, das erscheint mir jetzt als möglich — als die goldene Möglichkeit am Horizonte alles meines zukünftigen Lebens. Ich werde bewegt, so oft ich nur an die tapfere und ahnungsreiche Seele meiner lieben Lou denke.
Schreiben Sie mir immer so wie dieses Mal! Nichts lese ich lieber und leichter als Ihre Hand.
Von ganzem Herzen
Ihr
F. N.