1882, Briefe 185–366
311. An Lou von Salomé in Stibbe
<Leipzig, 26. September 1882>
Meine liebe Lou,
wie geht es Ihren Augen? — Sie sollten vielleicht alle zwei Tage etwas schwimmen; wir haben hier zwei Schwimmbassins mit angenehmer Temperatur (20’), auch für Damen. —
Inzwischen habe ich die Aufführung einer Oper meines Venediger Freundes am Leipziger Theater kräftig in die Hand genommen; bisher gieng Alles gut, und man kommt mir auf das Artigste entgegen. Gesetzt, ich erreiche dies Ziel, so wird der Componist für diesen Winter nach Leipzig übersiedeln. —
In der That, der Riedelsche Verein wird das „Lebensgebet“* zur Aufführung bringen; Prof. Riedel ist äußerst davon eingenommen und arbeitet es eben für 4 stimmigen Chor um (was meine Augen nicht vertragen) Dabei ergab sich die Nothwendigkeit, an 2 Stellen den Text zu ändern: der I-Vokal ist nämlich überall, wo ein starker Accent in der Musik erreicht werden soll, unbrauchbar. — über die Musik selber schrieb Köselitz zuletzt noch: „ganz Manfred, groß, machtvoll, aber unheimlich.“ (das heißt: er mag sie nicht.) —
Auch Gersdorffs wollen nach Leipzig kommen; die „fröhliche Wissenschaft“ hat zwischen uns wieder alles in Ordnung gebracht, und mehr als das. G<ersdorff> schrieb, er denke so oft an Rée, und mit täglicher Dankbarkeit für den ausgezeichnet angenehmen Tabak.
Romundt, im Begriff abzureisen, will jedenfalls Ihre und Rée’s Ankunft noch abwarten. — Auch mit Dr. Ziel habe ich die Bekanntschaft wieder erneuert. — Die Hofräthin Heinze hat mir Studirzimmer und Bibliothek ihres Gatten zu Gebote gestellt, es ist eine alte Jugendgespielin von mir (eine ausnehmend scharfsinnige kleine Kratzbürste, mit der es Niemand aushält — mit Ausnahme meiner Wenigkeit)
Ich lege einen Ausschnitt aus einer Berliner Zeitung bei, interessant wegen der verschiednen Auffassung von Carmen. Endlich kommt man in Deutschland dahinter, daß diese Oper (die beste, die es giebt) eine Tragödie enthält! Ich kenne Frl. Lilli Lehmann persönlich; sie kam einmal nach Bayreuth, als ich gerade bei Wagners zu Besuche war, und ich habe ein paar Spaziergänge mit ihr gemacht. Falls ich hier etwas länger gebunden sein sollte, so werde ich mir auch schon die Aufführung von Carmen auswirken; dafür sitze ich wieder einmal etwas „an der Quelle“. Und Lilli muß dann die Hauptpartie singen, sie scheint ihre Sache teufelsmäßig gut zu machen. (Den Ausschnitt geben Sie mir doch in Leipzig wieder, bitte, gleich den 2 Briefen)
Aber was schwätze ich denn, meine liebe Lou, so viel mit der Feder! Fortsetzung mündlich. Und wann?
Von Herzen Ihnen zugethan
F.N.
(Auenstrasse 26, 2 Etage)