1882, Briefe 185–366
353. An Paul Rée in Berlin (Entwurf)
<Rapallo, Mitte Dezember 1882>
ich habe gar nicht daran gezweifelt, daß sie irgendwann auf eine himmlische Weise sich von dem Schmutz jener schmählichen Handlungen reinigen wird.
Jeder andre Mann würde sich von einem solchen Mädchen mit Ekel weggewendet haben: auch ich hatte ihn, aber überwand ihn immer wieder und die Wahrheit zu sagen: es jammert mich eine edel angelegte Natur in ihrer Entartung zu sehn.
Diesen Streich spielte mir das Mitleid.
ich verlor das Wenige, was ich noch besaß, meinen guten Namen; das Vertrauen einiger M<enschen>, ich verliere viell<eicht> noch meinen Fr<eund> Rée — ich verlor das ganze Jahr durch die schrecklichen Qualen, denen ich bis heute ausgesetzt bin.
ich fand Niemanden in Deutsch<land> der mir hilft und bin jetzt von D<eutschland> wie verbannt und was mir am meisten weh thut — meine ganze Phil<osophie> ist bloßgestellt durch — — — vor mir selber brauche ich mich dieser ganzen Sache wahrlich nicht zu schämen: die stärkste und herzlichste Empfindung dieses Jahres habe ich für L<ou> gehabt, und es war nichts in dieser Liebe, was zur Erotik gehört. Höchstens hätte ich den l<ieben> G<ott> eifersüchtig machen können.
Seltsam! Ich dachte, es würde mir ein Engel entgegengeschickt, als ich mich wieder den M<enschen> und dem Leben zuwandte — ein Engel, der Manches in mir lindern sollte, was durch Schmerz und Einsamkeit zu hart in mir geworden war, und vor allem ein Engel des Muthes und der Hoffnung für Alles das was ich immer vor mir habe — Inzwischen war es kein Engel.
Im Übrigen will ich nichts mehr mit ihr zu thun haben. Es war eine vollkommen unnütze Verschwendung von Liebe und Herz. Nun, die Wahrheit zu sagen: ich bin reich genug dazu.