1881, Briefe 74–184
88. An Heinrich Köselitz in Venedig
<Genua, 13. März 1881>
Das ist nicht recht, lieber Freund! Sie machen mich zum Vertrauten Ihrer Noth — und einer solchen Noth! — nachdem sie vorüber ist! Und es geht mir diesmal wie in Marienbad — es ist mir als ob Sie vor mir zurückflöhen und mich irgend wofür bestrafen wollten. Ich schäme mich immer, an diese Geschichten zu denken. Ach, ein Kärtchen und ein Wörtchen darauf und hundert frs. oder mehr fliegen zu Ihnen. — Nun, nichts für ungut! Aber Sie sind mir zu fein.
Ihre Nachrichten über Ihr Werk sind sehr gut. Fürst L<iechtenstein> ist mir immer, von sehr glaubwürdiger und urteilsfähiger Seite aus (Frau C<osima> Wagner) als ein ausgezeichneter Mensch gerühmt worden, ich freue mich, daß er auch gegen Sie Witterung verräth. Denn, lieber Freund, Sie sind zu entdecken.
Heute soll das M<anu>s<cript> an Herrn Schmeitzner abgehen. Was habe ich inzwischen alles um dieses Buches willen in mir durchgemacht! Nach einer kurzen kurzen Freude! Genug, ich fühle mich jetzt wieder auf offnem Meere, und die alte mir so wohlbekannte bittre Entschlossenheit hat mich wieder. —
Fragen Sie meinen alten Kameraden Gersdorff, ob er Lust habe, mit mir auf ein bis zwei Jahre nach Tunis zu gehen. Klima ausgezeichnet, nicht zu heiß — Überfahrt von Livorno über Cagliari sehr kurz, das Leben dort billig. Ich will unter Muselmännern eine gute Zeit leben, und zwar dort, wo ihr Glaube jetzt am strengsten ist: so wird sich wohl mein Urtheil und mein Auge für alles Europäische schärfen. Ich denke, eine solche Berechnung liegt nicht außerhalb meiner Lebensaufgabe. — Ein deutsch-schweizerisches Handelshaus in Tunis wird uns Logis besorgen. Aber erst muß das Buch fertig gemacht werden: ich will, daß bis Ende April ein Exemplar in Ihren Händen ist.
Von meinem Reiseplan bitte ich Sie und Herrn G<ersdorff> gegen andre Personen vorläufig zu schweigen. — Ein Maler des Genre’s findet in Tunis sein gelobtes Land: nur darauf hin mache ich dem Freunde diesen Vorschlag.
Lieber lieber Freund, warum kann ich Ihre Musik nicht hören! Ich bedarf aller Arten Gesundheit — es ist mir etwas zu tief in’s Herz gegangen, dieser „herzbrecherische Nihilismus“!
Nun, bleiben wir tapfer!
Treugesinnt F. N.