1881, Briefe 74–184
85. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Genua, 23. Februar 1881>
Werthester Herr Verleger
für alle Ihre Dispositionen meinen ergebensten Dank, ich glaube an Ihr aufrichtiges Wohlwollen für mich und deshalb glaube ich auch an Alles, was Sie in Dingen für mich thun, worin ich, wie Sie wissen, unerfahren bin. Was Geld betrifft, so verstehe ich nur Eins: wenig zu brauchen und zu sparen. Wer lebt denn wohl so philosophisch und gut (und doch keineswegs asketisch) als ich hier in Genua? Und doch brauche ich für jeden Monat nicht mehr als 60 Mark, Alles, auch das Zufälligste eingerechnet.
Dafür habe ich, schon meiner fast erloschenen Augen wegen, keine Aussicht auf irgend ein ernährendes Amt in meinem späteren Leben. Also wollen wir fortfahren zu sparen und zu sammeln! Dies ist heute aber nur die Nebensache. —
Ich frage nämlich an, ob Sie den Verlag eines neuen Buches übernehmen wollen, welches in der Abschrift des Herrn Köselitz vor mir liegt. Meine Bedingungen in Betreff der Ausstattung und des Honorars sind die alten. Dafür verlange ich aber, daß diesmal Herr Oschatz an Güte und Pünktlichkeit sich selber übertreffe — es muß ein Musterbuch werden.
Der Titel ist:
Eine Morgenröthe.
Gedanken über die moralischen Vorurtheile.
Von
Friedrich Nietzsche.
„Es giebt so viele Morgenröthen, die noch nicht geleuchtet haben.“ Rigveda.
Dies Buch ist das, was man „einen entscheidenden Schritt“ nennt — ein Schicksal mehr als ein Buch.
Geben Sie mir eine Antwort auf meine Anfrage, hierher, nach Genova (Italia) poste restante.
Sie wissen, daß ich immer mit den aufrichtigsten Wünschen für Sie bin und bleibe
Ihr Dr F. Nietzsche