1881, Briefe 74–184
130. An Ferdinand Laban in Pressburg
Sils <Engadin, Schweiz> 19 Juli 1881
Ihr Gesang, werther Herr, geht mir so nahe und thut mit so wohl, daß ich alles Recht verliere, ihn zu loben. Zumal da ich annehme, Sie machen es jenen älteren Musikern gleich, welche ihre heitere lebenfunkelnde Symphonie mit einem ernsten schwermüthigen Satze wie mit einer Morgendämmerung beginnen: — sie waren darin Schelme. Und vielleicht haben Sie eben auch nur ein Vorspiel uns geben wollen, daß uns ein wenig irre leiten soll? Denn zuletzt, lieber Herr, sind wir Beide doch wohl Einer Meinung, über diesen Einen Punkt: daß sich auch jetzt noch der Bogen des Lebens so straff spannen lasse, daß die Sehne der Begierde singt und pfeift? daß wir auch jetzt noch so stolz und darüber-hinsehend leben können, wie jener herrliche römische Kaiser, in dessen Verehrung wir Beide einmüthig sind (lesen Sie doch zum Beweise dafür meine jüngst erschienene „Morgenröthe“ — ich kann sie Ihnen leider nicht schicken) Dankbar der Ihrige
F.N.