1866, Briefe 490–534
513. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Leipzig, nach dem 18. Juli 1866>
Liebe Mama und Lisbeth,
ich will meinen Brief heute mit betrübenden Nachrichten beginnen. Zuerst melde ich Euch den Tod von unserm Krämer, der im Kampf bei Sadowa gefallen ist. Ein vortrefflicher Mensch, ein sehr intellegenter Offizier, dessen Tod nicht mit dem von 8 Östreichern compensirt wird, ist in ihm von uns gegangen.
Sodann ist der älteste Bruder Gersdorffs in demselben Gefechte verwundet worden durch einen Säbelhieb auf den Kopf. Ein Ziethenscher Husar, der hier im Lazareth liegt, beschrieb sein ungestümes Vordringen, dem sie nicht hätten folgen können. Im Kampf mit dreien, von denen er zwei niederhieb bekam er die Wunde und soll aber mit dieser weiter vorgegangen <sein> bis zur Erschöpfung. Von Geest, den Ihr wohl auch noch als einen alten Bekannten von mir kennt, höre ich auch, daß er verwundet ist. Er soll ein sehr tüchtiger Leutnant sein.
Endlich ist der eine Zwilling von Riedigs gestorben. Hierbei fällt mir ein, daß Hr. Riedig sich heute im Namen einer Verwandten, einer Fr. Häring aus Dresden bei mir erkundigte, ob mein Vater Erzieher der Prinzess., Pastor etc. gewesen sei; sie beansprucht nämlich mit uns verwandt zu sein. Kannst Du mir nicht etwas über diesen Häring mittheilen? — Am Abend oder vielmehr um 1 Uhr oder etwas früher als ich von dem angenehmen Ausflug vom Lamaischen Feste zurückkehrte, fand ich zwei Briefe, die ich im Bette liegend las, zuerst von W. Pinder, der sich sehr auf meinen Besuch freut; obgleich ich diesen Gedanken wieder aufgegeben habe. Der andre Brief enthielt nämlich Ritschls latein. Anzeige, daß die Pariser Collation dasei. Am andern Tage bekam ich diese und wichtige Nachrichten. Nämlich daß eine Theognisausgabe zweier Gelehrten vor der Thür sei, und daß deshalb Gefahr im Verzug sei. Er rieth mir meine Ergebnisse in Form eines größern Aufsatzes schleunigst zu veröffentlichen und bot mir auf das freundlichste das rheinische Museum für Philol<ogie> an. Diese Wendung erfüllt mich mit großer Freude. Die Sache erledigt sich auf ungeahnt schnelle Weise, nachdem ich eigentlich sie aufgegeben hatte. Morgen beginne ich. In Folge dessen ist meine Berlinerreise einstweilen nicht nöthig.
Da das zweite Aufgebot mobil gemacht wird, so ist es unzweifelhaft nöthig, daß Ihr Euch auf dem Landamte erkundigt (wörtlich) „ob die einjährigen Freiwilligen jetzt einberufen werden.“ Darauf erbitte ich mir baldige und genaue Antwort.
Hedwig Raabe ist übrigens nicht wieder aufgetreten, ist indeß noch nicht nach Petersburg zurückgekehrt, sondern weilt noch mehere Wochen bei einer ihr befreundeten Familie in Gohlis, nämlich bei unsern Nitzschens. Man sieht sie häufig mit ihm und den beiden Töchtern.
Vorigen Sonnabend haben wir eine vortreffliche Kahnfahrt nach Connewitz in der Nacht gemacht, die ganz angenehm ablief. Wir hatten ein Windlicht und waren des Steuerns und Rudern nicht zu kundig, so daß wir oft strandeten.
In diesen Tagen versammeln sich in und um Leipzig 30 000 Mann darunter die Meckelnburger; an der Spitze des Armeecorps steht der Herzog von Meckelnburg, der im Hotel de Prusse logirt. Ich werde wohl auch einen Viertel Mann bekommen.
Damit ist mein Notizenkram gegliedert, der sehr Trauriges und Freudiges in buntem Wechsel enthält.
Ich kann Euch heute nur für Eure freundliche Bewirthung danken und Euch bitten, den Gedanken an eine Leipzigreise nicht aus den Augen zu verlieren. Ich brauche nicht zu sagen, daß die vielen Offiziere und Uniformen ein besondrer Genuß für das Lama ist.
Somit gehabt Euch wohl. Heute Abend ist Gesellschaft bei mir. Butterbrod, Kirschen, Eier, Schinken, Wein und Konfekt.
Lebt recht wohl.
Euer Fritz.