1866, Briefe 490–534
497. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Leipzig Sonnabend <3. März 1866>
Liebe Mama und Lisbeth,
Die Zeit unsres Wiedersehens ist wieder so nah, daß es Euch verwunderlich erscheinen wird. Ich habe nämlich die Absicht, im Laufe nächster Woche einzutreffen: und ich bitte, einestheils nicht ängstlich Tag und Stunden zu zählen, andrerseits nicht zu überrascht zu sein, wenn ich schon in der ersten Hälfte kommen sollte. Ich kann es wirklich nicht genau bestimmen, da noch viele und nicht unwichtige Geschäfte erledigt werden müssen und ich auch dann noch von unvorhergesehenen Zwischenfällen abhänge.
Dagegen ist es sehr wünschenswerth, daß Ihr mir die Stube recht hübsch zurichtet, denn ich habe für die Ferien viel zu thun, und schwerlich habe ich schon so arbeitsreiche Ferien gehabt, wie diese sein werden. Der Grund davon ist: — und das Folgende betrachtet als strenges Geheimniß, vor allen Tanten und Verwandten und Bekannten, kurz vor allen Menschen — es soll nach den Osterferien ein Buch von mir erscheinen, dessen Manuscript ich in den nächsten 6 Wochen druckfertig ausarbeiten will. Es ist eine Theognisausgabe mit großen Einleitungen. Die Sache ist mir sehr schnell auf den Hals gekommen, ich selbst hatte nicht daran gedacht. Aber Ritschl, der meine letzte Arbeit gelesen hat, hält die Veröffentlichung meiner Untersuchungen für nothwendig, und so habe ich mich denn dieser Arbeit unterzogen. Ich habe nach Rom, Venedig und Paris deshalb noch zu schreiben und kann erst, wenn ich die Antworten von dort bekomme, an die volle Arbeit gehen. Die Stube wird sich wohl allmählich mit Büchern füllen. Die Geheimhaltung dieser Geschichte lege ich Euch nochmals ans Herz, den Grund dafür will ich Euch persönlich sagen.
Wäsche und dergleichen erwarte ich nicht mehr, da ich nur alles wieder zurückbringen müßte. Hat sich bei der letzten Sendung nicht alles auf das angenehmste gekreuzt? Meine Kiste stand fertig gepackt und der geschriebene Brief lag darin: da kam die Eurige. Für die Wurst sage ich Euch meinen besten Dank. Mein Husten ist beiläufig immer noch da und hat einen eigentümlichen Charakter, er kommt nämlich selten, aber beklemmt mich dann sehr. Das hoffentlich immer wärmer werdende Wetter wird ihn schon vertreiben.
Gestern wurde die Missa solennis vom Riedelschen Vereine aufgeführt, ich konnte noch nicht mitwirken und habe zugehört. Eine große Menschenmenge und viele Fremde darunter füllten die Kirche. Das Sopransolo sang die Jauner Krall, die Du liebe Lisbeth, noch von Dresden aus kennst. Die Aufführung war vortrefflich und höchst erhebend, es war einer meiner schönsten musikalischen Genüsse. Ich hatte doch noch gedacht, daß Ihr Euch einmal einfinden würdet. Aber vergebens. Dieses mein Logis lernt Ihr nun nicht kennen.
Wißt Ihr vielleicht, ob der Onkel Bernhard krank oder verreist ist, so schreibt es mir doch auf der Stelle. Ich erwarte mindestens seit 1½ Woche Geld und besitze jetzt gerade noch 1 Pfennig, da ich zu Mittag für ein Dreierbrod mein letztes Geld ausgegeben habe.
Vorigen Dienstag haben wir eine Art Stiftungsfest unsres Vereins gefeiert und zwar auf der Stube eines der Mitglieder. Wir kamen erst gegen 3 Uhr nach Hause — „und Ihr hattet doch keinen Ball“ wird Lisbeth sagen.
So. Alles übrige hoffe ich Euch bald persönlich zu sagen.
Ich weiß gar nicht recht, wo ich mein Gepäck hinthue während der Ferien. Denn ich will mir natürlich erst nachher ein Logis miethen.
Damit lebt recht wohl und richtet mir alles hübsch ein
Euer Fritz.