1866, Briefe 490–534
508. An Hedwig Raabe in Leipzig (Entwurf)
<Leipzig, Juni 1866.>
Mein erster Wunsch ist, daß Sie die unbedeutende Widmung unbedeutender Lieder mir nicht übeldeuten. Es liegt mir nichts ferner als Sie etwa durch diese Widmung auf meine Persönlichkeit aufmerksam machen zu wollen. Wenn andre Leute durch Hand und Mund im Theater ihr Entzücken kundgeben, thue ich es durch ein paar Lieder; andre mögen in Gedichten noch besser sich verständigen. Alle aber haben nur ein Gefühl: Ihnen anzudeuten, wie glücklich sie auf eine kurze Strecke ihres Daseins gewesen sind, wie herzlich sie die Erinnerung an solche sonnige Blicke eines vollkommnen Lebens in sich hegen.
Sie dürfen nicht meinen, als ob diese Huldigungen Ihrer sicher höchst edlen und liebenswürdigen Natur dargebracht würden. Im Grunde verehre ich und sicherlich alle mit mir Ihre Darstellungen: mit der Süßigkeit und dem Schmerz, mit dem meine eigne Kindheit mir vor die Seele tritt als ein Verlorenes aber doch einmal Dagewesenes, denke ich auch an Ihre ursprünglichen und immer lebenswahren herzensguten Gestalten: Mögen diese Gestalten mir auf meinem Lebensweg auch noch so selten begegnen — und noch vor kurzem glaubte ich gar nicht mehr an ihre Wirklichkeit — so ist mein Glaube an sie jetzt wieder festgewurzelt. Dies verdanke ich wirklich Ihnen allein; nach diesem Bekenntniß werden Sie mir auch die Freiheit dieses Briefes nicht übelnehmen. Was kann Ihnen an augenblicklichen Erfolgen, an dem stürmischen Beifall einer aufgeregten Menge liegen. Aber zu wissen, daß viele aus dieser Menge eine heilbringende Erinnerung mit sich forttragen, daß viele, die das Leben und die Menschen trübe genug anblickten, jetzt mit hellerem Gesicht und freundlicher Hoffnung weitergehen — dies muß ein überaus beglückendes Gefühl sein.
Es ist schließlich mein Wunsch, daß Sie auch aus den Tönen der beiliegenden Lieder diese warmen und dankbaren Empfindungen heraushören mögen.