1866, Briefe 490–534
505. An Julie Opitz in Plauen (Entwurf)
<Leipzig, Mitte Mai 1866>
Ich habe das schätzenswerthe Glück gehabt, viele vortreffliche Menschen als meine Verwandten kennen zu lernen: und deshalb <ist> meine Liebe zu ihnen nicht bloß die Folge des zufälligen Umstands daß sie durch Verwandtschaft an mich gekettet sind. Ich habe sie zu verehren als Vorbilder eines rüstigen arbeitsvollen Lebens und Strebens; ich erkenne in ihnen dasselbe liebevolle Herz, dieselben schönen menschlichen Züge, mit denen das Bild meines seligen Vater<s> geschmückt ist; so daß ich ihn gleichsam in seinen Angehörigen fortleben sehe und fortlieben kann.
Aber dieser Kreis vortrefflicher Menschen lichtet sich. Eben jetzt haben wir wieder das Scheiden einer solchen edlen Persönlichkeit zu beklagen; wir alle sind gleichmäßig dadurch bewegt, mehr als alle jedoch Du, meine liebe Tante, die Du mit ihr in der engsten Gemeinschaft lebtest und ihre letzten kleinen Freuden, ihre vielen Schmerzen und Seufzer mit empfunden hast. Ein Stück Deiner Seele ist von Dir geschieden: die Erde hat das Liebste, das Du besaßest, nicht mehr.
Wir haben uns in Ihrem Leben Ihrer herzlichen Gesinnung gegen uns zu erfreuen gehabt; und noch über ihr Grab hinaus hat sie nicht aufgehört, uns mit den unverdientesten Beweisen ihrer Güte auszuzeichnen. (Nimm Du liebe Tante den Dank dafür, da Du das nächste Anrecht auf unsre Dankbarkeit hast.)
So ist ihr Andenken ein gesegnetes überall, wo ihr<e> Hand gewaltet, wo ihre Liebe gesorgt hat: und wer wollte es ihrer edlen Seele verargen, daß sie von hinnen gieng, nachdem sie das Leid und die Mühe des Daseins in Fülle durchgekostet hatte.
Wir aber die Zurückbleibenden wollen uns stärken durch den Hinblick — — —