1866, Briefe 490–534
496. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Leipzig, 23. Februar 1866>
Liebe Mama und Lisbeth,
Schon zu lange habt Ihr auf Nachricht von mir warten müssen. Um zuerst meinen Gesundheitszustand zu erwähnen, so hat sich der Husten auf eine erfreuliche Weise festgesetzt; ich nehme mich möglichst in Acht, was aber nicht viel sagen will. Ich muß doch ausgehn und Collegien besuchen. Dann unterstützt mich die höchst wechselnde Witterung gar nicht. Ich werde mich nun wohl bis zu einer wärmeren Jahreszeit an den Husten gewöhnen müssen. Darum sendet mir einige Erleichterungsmittel, da er sehr heftig, aber selten ist und mir den Athem benimmt.
Neulich bin ich bequem wieder nach Leipzig gekommen, indem ich der anmuthigen Fastnachtstage gern gedachte und zugleich Lisbeth viel Glück für ihre strapaziösen Vergnügungen wünschte (die man auch als ein ziemlich schlechtes Ersatzmittel des Turnens ansehn kann, indem die Beine zu einseitig bedacht werden, und der Geist entschieden auf den Hund gebracht wird, zu geschweigen, von andern Einflüssen, die ich mit Vorliebe schon in Naumburg entwickelt habe)
Ich habe den Abend, wie ich Euch sagte, bei Kinkel zugebracht. Zu Hause fand ich eine Einladung zu Prof. Ritschls, die ich aber zu spät in die Hände bekam. Am nächsten Tage bin ich Mittags dort gewesen und habe eine möglichst formelle Visite gemacht.
Große Neuigkeiten habe ich nicht erlebt. Das Kindergeschrei ist tödtlich. Ich habe auch gekündigt. Dazu ist einer der Säuglinge jetzt von der Mutter mit heißem Wasser übergossen worden: was denn Brandwunden und viel Geschrei veranlaßt hat und noch veranlaßt.
Unser Verein hat seit der Zeit zwei Sitzungen gehabt. Es geht alles ganz vortrefflich. Nächstens wollen wir Stiftungsfest feiern und uns gemeinsam photographisch verewigen, natürlich in charakteristischen Stellungen, mit bezeichnenden Attributen, womöglich ganz antik — indessen in moderner Tracht. Ihr braucht nicht an antike Gewänder zu denken, noch weniger an antike Nacktheit.
Von Euch zurückkommend fand <ich> einen erfreulichen Brief von Deussen, in dem viel Verständiges ist, 13 Seiten lang. Ich habe Euch von ihm zu grüßen. Vielleicht kommt er Ostern.
Heute ist große Orchesterprobe des Riedelschen Vereins. Heute (also Freitag über 8 Tage) ist die große Aufführung. Zu der ich Euch natürlich angelegentlichst einlade. Aber schreibt es mir etwas zeitig, ob Ihr kommen wollt, damit ich über die Billete verfügen kann.
Ihr bekommt heute schmutzige Wäsche; ich wünschte sehr, recht bald mit Wäsche und einigen Nahrungsmitteln versehn zu werden.
Damit sage ich Euch ein herzliches Lebewohl!
Euer Fritz.