1866, Briefe 490–534
507. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
am 29t. Mai, geschr. in Leipzig. <1866>
Liebe Mama und Lisbeth,
Ihr habt fabelhaft lange keine Nachricht bekommen. Wäre etwas Wichtiges passirt, so hättet Ihr sie. Soldat bin ich noch nicht. Es hat Aussicht als ob wir überhaupt verschont bleiben sollten.
Die Pfingsttage bin ich in Leipzig geblieben, wie ich Euch gesagt hatte. Mit Eilenburg haben wir es vortrefflich getroffen. Dies war mir eine Freude. Ich habe Zeit zum Arbeiten gefunden und kann auch im Allgemeinen mit den Resultaten zufrieden sein. Nachrichten aus Italien sind noch nicht da. Die Sache schiebt sich auf die lange Bank hinaus, was mir auch ganz recht ist. Nächsten Freitag habe ich in unserem Verein wieder ein<en> Vortrag zu halten.
Ich habe die Ferientage sehr einfach verlebt, bin frühmorgens öfter zu einem Frühconzert im Rosenthal gewesen und habe mich Abends an Wachtel als Troubadour und Tell ergötzt. Gersdorff ist auch die Ferien dageblieben. Der Vetter war in Colditz und ist Sonnabend wieder gekommen. Er zieht mit nächstem Monat in die Stube neben der meinigen.
Werdet Ihr denn nicht einmal nach Leipzig kommen? So doch jedenfalls nach Merseburg zu dem Orgelconzert, wo der Riedelsche Verein singt. Es ist auf die erste Hälfte des Juni verschoben worden.
Ich fange den Brief noch einmal von neuem an: denn er ist wieder ein Paar Tage liegen geblieben. Dazwischen ist denn Dein Brief mit Geld, liebe Mamma, eingelaufen, für beides sage ich Dir besten Dank. Ich bedaure nur, daß letzteres viel zu wenig ist, und daß ich deshalb in Kürze genöthigt sein werde Geldbriefe zu schreiben: was immer eine Verschwendung von Tinte und Zeit und sehr langweilig ist.
Ihr habt mich in Naumburg erwartet. Aber so hatten wir es nicht ausgemacht. Heute schicke ich denn nun eine scheußliche Menge von Schmutz und Wäsche. Ich bitte aber um eine rapide Beschleunigung des Wäschprozesses. Denn in Leipzig ist es ebenso staubig wie heiß: und es scheint mir als ob aus Schweiß und Staub die Wäsche ihre dunkle Färbung und ihren schlechten Geruch erhielte.
Im Grunde kann ich keinen Grund ergründen, weshalb ich noch länger schreiben sollte. Denn Neuigkeiten weiß ich nicht, meine philologischen Ergebnisse interessiren Euch nicht, philosophische Erörterungen liebt Ihr nicht, Brief, Geld und Wäsche sind schon abgehandelt und es fehlt nur noch ein Gruß und ein Schluß.
Die Afrikanerin (à propos Wäsche) habe ich auch gesehen, die Musik ist bedauerlich schlecht, die Personen sehen abscheulich aus, und man glaubt nach Beendigung des Stückes lebhaft an die Abstammung des Menschen vom Affen. Für diesen Kunstgenuß sagt der Tante Rosalie meinen Dank: wenn man mir Freibillete schenkt, ich gehe nicht wieder hinein. Devrient habe ich als Hamlet und Graf v. Strahl bewundert. Nächstens kommt auch Fräul. Gallmeyer aus Wien, die tollste Persönlichkeit der deutschen Bühne.
Damit hat es zum zehnten Male geschnappt. Alle unsre Hoffnung steht bei einem deutschen Parlament. Dem Kongreß in Paris wünsche ich einen gesegneten Stuhlgang.
Damit lebt heute und immerdar bestens wohl. Vielleicht komme ich einmal Sonnabends. Aber wenn Ihr mich erwarten wollt, so werdet Ihr häufig genug durch mein Nichtkommen überrascht werden.
Die Kiste packt mit Vorsicht aus. Es ist nicht alles Wäsche, was stinkt.
Damit empfehle ich mich mit Neigung und Krümmung des Rückenwirbels
als Euer Fritz.
Elisenstr. 7 wohne ich jetzt.