1880, Briefe 1–73
67. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Genua, 24. November 1880>
Lieber Freund, ich lasse ein Kärtchen zu Ihnen fliegen, bloß um Ihnen zu sagen, was ich eben stark empfinde: ich glaube, Sie und ich, wir sind auf dem rechten Wege! Einsamkeit, und Strenge gegen uns vor unserm eignen Richterstuhl, kein Hinhorchen mehr nach Anderen, Mustern und Meistern! Ein Leben, das unserm innersten Wunsche gemäß ist und wird, eine Thätigkeit ohne Hast, kein fremdes Gewissen über uns und unserm Thun! So versuche ich’s nun wieder einmal, mir herzurichten: und Genova scheint mir der rechte Ort, drei Mal jedes Tages ist mir hier das Herz übergegangen, bei dieser in die Ferne weisenden Größe und unternehmenden Mächtigkeit. Hier habe ich Gewühl und Ruhe und hohe Bergpfade und das, was schöner ist als mein Traum davon, das campo santo.
In Liebe und Treue der Ihre
F.N.