1880, Briefe 1–73
44. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Marienbad, 2. August 1880>
Hier, lieber Freund, eine Zeile Dankes für Ihren letzten mannichfach mich bewegenden, auch beunruhigenden Brief; auch bitte ich Sie dringend, das Wort „nachsichtig“ zu streichen; Sie wissen immer noch nicht, wie ich von Ihnen denke, weder vorsichtig, noch nachsichtig — Sie haben mein Vertrauen, und ich wünschte in diesem Punkte wenigstens das Ihre zu haben. Aber es ist seltsam zu beobachten: wer vom herkömml<ichen> Allerweltsweg frühzeitig abweicht, um seinen rechten Weg zu gehen, hat immer das halbe oder ganze Gefühl eines Exilirten, eines von den Menschen Verurtheilten und Entflohenen: diese Art schlechten Gewissens ist das Leiden der selbständig Guten. Das Heilmittel ist — was meinen Sie? — ein großer Erfolg bei eben denen, welchen man aus dem Wege gegangen ist. — Bitte, lassen Sie sich 3 Aufsätze Ihrer freien Presse nicht entgehen: (vor 4 Wochen) George Sand und A. de Musset. (vor 8 Tagen Stifter als Landschaftsmaler, und Hekt. Berlioz in seinen Briefen. — Die letzte Zeit immer in einer unbändig gehobenen Stimmung! Morgen Abreise — Sehr getreu Ihr Freund F. N.