1879, Briefe 790–922
868. An Elisabeth Nietzsche in St. Aubin
<St. Moritz, 24. Juli 1879>
Meine liebe liebe Schwester, sofort schreibe ich, denn ich habe eine gar zu große Freude an Deiner Mittheilung. So wie Du alles beschreibst, ist auch alles im höchsten Grade acceptabel, ja ein Glücksfund. Ich rathe aber, an andre Personen vorläufig nichts über die ganze Sache zu schreiben: im Herbst machst Du den Besuch in Chur und dann mag die Sache sich allmählich entwickeln. Der Winter in Chur hat viel mehr Sonne als man denkt. Der Ort ist schön, ich habe jedesmal die Rabiusaschlucht und Passug besucht. Zudem: Graubünden ist mir wirklich sehr lieb und St. M<oritz> der einzige Ort der Erde (so weit mir bekannt) der mir entschieden wohlthut, bei gutem und schlechtem Wetter. Ich komme wohl noch manchen Sommer hierher. Wind! Denke Dir, gehört zu den mir wohlthätigen Dingen. — Alle die berühmten „Winterkurorte“ sind auf Brustkranke berechnet: nichts für mich! Ich habe jetzt fast an Norddeutschland gedacht, um mit Rée zusammen zu leben und einiges zu lernen. Im Grunde meine ich, ich sei hier für einen Norddeutschen Winter sehr gut vorbereitet. (Berlin? und eine Vorlesung hören?) Sage Deine Meinung, bitte. (Venedig hat das mir feindseligste Clima, feuchtmild.
Für Frühjahr und Herbst habe ich mir Gärtnerei (Gemüsebau) in Naumburg ausgedacht. Von Oktober an trete ich in Pacht des Zwingers und die Thurmstube wird zum Wohnen für mich hergerichtet. (17½ Thaler jährlich)
Über meine Winterpläne Stillschweigen, bitte!
Der Betrugsschirm zerbrach. Tags darauf fiel die Riesenplombe aus dem Zahne, ich mußte zum Zahnarzt, die Noth war groß. Unter dessen Händen entdeckte ich, daß es van Marder in eigner Person war (jetzt in Florenz), sehr liebenswürdig und geschickt. — Was zahlte ich? Er sagte, das Loch sei 2½ mal so groß wie ein gewöhnliches. —
Soeben meldet Overbeck, daß die gute akadem<ische> Gesell<schaft> auch noch 1000 frs. auf 6 J<ahre> beschlossen hat. Also Summe der Pension 3000 frs. Das ist sehr schön.
Mit dem herzlichsten Gruße
Dein Bruder.
Nie, seit 30 Jahren nicht, hat es einen so schlechten verregneten und verschneiten Sommer in St. M<oritz> gegeben — und trotzdem: ich möchte nirgends lieber sein.
NB. Monod’s Schrift, sehr fein und unbefangen, giebt nach mehreren Seiten zu denken. Ich bedanke mich durch Dich schönstens.