1879, Briefe 790–922
862. An Elisabeth Nietzsche in St. Aubin
<St. Moritz,> 6 Juli 1879.
Heute morgen wollte ich das Geburtstagsbriefchen schreiben — und siehe, da kommt das Kästchen, und ich bin’s, der zu Deinem Geburtstag beschenkt wird! Das ist sehr drollig! Ich denke es einmal wieder gut zu machen, laß mich nur erst etwas mehr hier zu Hause sein. Bis jetzt weiß ich gar nicht, was man hier haben kann — und ein Windchen von einem Wünschchen hätte ich gern von St. Aubin her! — Also heute nichts als sehr gute treue Wünsche und noch viel mehr Dank für Gegenwart Vergangenheit und Zukunft, meine liebe Schwester. Du hast mir geholfen, wie nur eine sehr brave Schwester helfen kann. — Und heute wieder, alles wie ausgesucht nach meinem Herzen, bis zu dem Waschlappen, da ich Dich um einen bitten wollte. Mir sind die brown college so gemüthlich, könnte man so etwas von Gerste nicht selber einmal backen? Hier sind alle Bäckersachen unbändig theuer: da habe ich mir in Wiesen 150 Zwiebäcke backen lassen. Überhaupt Höhenpreise! Auf meiner ersten Rechnung war jedes rohe Ei mit 20 ct. berechnet.
Trotzdem, St. M<oritz> ist das Rechte für mich. Ich bin viel krank, habe 4 Tage schon zu Bett gelegen, und jeder Tag hat seine Elends-Geschichte — und trotzdem! Ich halte es besser aus als irgendwo. Mir ist als hätte ich lange lange gesucht und endlich gefunden.
An Besserung denke ich gar nicht mehr, geschweige denn an Genesung. Aber aushalten-können ist sehr viel, Du weißt, was ich meine.
Ich wohne ganz allein in einem Hause, und ruhig. Gutes Bett.
Längst wollte ich Dir für den Koffer danken. Alles war recht: über die Manchettes, die ich selbst in Basel nie brauchte, habe ich gelacht.
Stiefeln habe ich hier machen lassen. 19½ frs.
Anbei die Abschrift von der Entlassungsurkunde, Du kannst sie, wenn Du es räthlich findest, auch unsrer Mutter schicken (die heute einen sehr heimatlichen angenehmen Brief schrieb, den ersten nach Bremgarten)
Die Regenz hat auch 1000 fr. jährlich für 6 Jahre bewilligt: also werde ich zusammen 2000 haben; nach welcher Decke ich mich strecken muß.
An Frau Leupold wird geschickt. Durch Frau Rothpletz beziehe ich Lebensmittel aus Zürich, namentl<ich> amerikan<ische> Zunge.
Soviel. Alles über St. Aubin gefällt mir. Ich wünsche von Herzen Dein Wohlergehen im ganzen nächsten Jahr.
Dein getreuer Fritz.
Kannst Du etwas Genaues über R. Wagner’s Winter-Reise nach Neapel erfahren, Zeit, Reiseroute usw — ich möchte jede Art Zusammentreffen verhüten. — Wem Du schreibst, gieb über meine Gesundheit sehr stark die Auskunft, es hätte lebensgefährlich mit mir gestanden und die rationellen Kurmethoden seien erschöpft gewesen. —
Hast Du die Adresse von Pachnike?