1861, Briefe 202–291
233. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Pforta, 3. und 4. Mai 1861>
Liebe Mamma.
Ich habe jeden Tag sehr sehnlich Brief und Kiste erwartet, denn ich brauchte meheres sehr nothwendig wie z. B. meine Lebensbeschreibung, die Uhrkette. Ihr seid doch alle gesund und wohl? Denn ich fürchte fast, daß jemand von euch unwohl sei. Nun ich hoffe noch heute nähere Aufklärung darüber zu bekommen.
Diese Tage, seitdem ich zum letzten mal schrieb, sind sehr einförmig und unter vieler Arbeit vergangen. Das Wetter ist unschön und der Mai mit seinem Schnee ist eine betrübende Erscheinung. Wenn nur nicht so viel erfroren wäre! Das wird wohl geringe Obst- und Weinernten geben.
Etwas übrigens habe ich noch zu erzählen; ich habe euch wohl einmal mitgetheilt, daß wir (nämlich der Chor) zur Hochzeit von Marie Jäger und dem jungen Schwimmer in der Kirche gesungen haben. Deßhalb wurde vorigen Mittwoch Abend der Chor zu Jägers geladen. Es gab eine Bowle mit Pfannkuchen. Stoff war ungeheuer viel vorhanden.
Dazwischen wurden Lieder gesungen, Toaste ausgebracht kurz, es war sehr lustig und alle sehr heiter. Die nothwendige Folge war, daß ich am folgenden Tag etwas müde war, denn bei dem Aufstehn um 5 Uhr kann man nicht sehr ausschlafen.
Wilhelm und Gustav haben auch noch nicht geschrieben; ich erwarte ihre Briefe auch sehnlich.
Die Masern sind in Pforta ordentlich ausgebrochen. Zwei sollen sehr gefährlich krank sein, besonders einer, der auch noch das Nervenfieber bekommen hat.
Einer hat auch beim Turnen ein Bein gebrochen; das ist aber nichts weiter.
Ich meines Theiles befinde mich von einiger Heiserkeit und den nicht aufhörenden Schnupfen abgesehn ganz wohl und wünsche daß auch ihr euch wohl befindet. Grüße Lisbeth viele mal von mir! Ich freue mich auf nächsten Sonntag, wo ich aber noch nicht weiß, wo wir uns treffen.
Dein Fritz
Sonnab.
Ich habe Kiste, Brief und alles richtig bekommen und danke viele mal dafür. Nur Strümpfe bedarf ich nothwendig, und das Uhrband.
Ich habe auch etwas Trauriges mitzutheilen. Der maserkranke Pieschel II ist gestern um 5 Nachmittag gestorben, da die Masern sich auf die innern Theile geworfen hatten. Es ist sehr betrübend und ordentlich unheimlich in Pforta. die Eltern der andern Maserkranken mögen nun wohl Furcht bekommen.
Also Morgen sehn wir uns hoffentlich in Almrich!
Viele Grüße!
Dein Fritz.