1860, Briefe 124–201
168. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Pforta, Mitte August 1860>
Liebe Mamma!
Heute, liebe Mamma, wirst du nun wohl sicher angekommen sein. Du glaubst gar nicht wie ich mich darüber freue, da wir uns so lange nicht gesehen haben. Nun wollen wir aber wieder nachholen, was wir in den Ferien versäumt haben. Komme nur recht bald heraus und schreib und schicke recht oft. Du wirst noch einen andern Brief finden. Du siehst daran, wie sehr ich dich erwartet habe. Es ist doch viel länger geworden als du dir anfangs vorgenommen hattest. Können wir uns nicht nächsten Sonntag länger sehn? Willst du mich nicht los machen? Du hast ja zwei Gründe, erstens deine Ankunft, und dann kann ja Lisbeths Geburtstag gefeiert werden. Nicht wahr, Lisbeth ist doch mit? Grüße sie doch viele, vielemal von mir. Es thut mir zu leid, daß ich heute nicht in Naumburg sein kann. Aber nun muß ich dich gleich bitten, mir die Kiste zu schicken, da ich gar keine reine Wäsche mehr habe, kein Hemd, kein Vorhemdchen, kein Handtuch. Bitte sende mir das doch gleich. Ich habe Sonntag gar nichts anzuziehn. Dann sind auch noch ein Paar von meinen Stiefeln in Naumburg. Die ich jetzt anhabe, sind ganz krumm gelaufen und zerissen, ein schauderhafter Gang! Auch den Stiefelknecht habe ich noch nicht auch meine Handschuh fehlen mir. Bitte sende mir das alles noch in diesen Tagen vor Sonnabend. Ich leide sehr Mangel.
Nächsten Sonntag sehen wir uns aber, wenn du mich nicht los machen willst, doch sicherlich in Almrich? Da will ich dir auch viel von den Veränderungen in Pforta erzählen. Auch von den Ferien. Bis dahin lebe recht wohl! Liebe Mamma! Ich freue mich doch sehr, daß du wieder dabist!
D<ein> FWNietzsche
Viele Grüße an die liebe Lisbeth und den Onkel!