1860, Briefe 124–201
140. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Pforta, 19. April 1860>
Ich danke dir, meine liebe Mamma viele Mal für den lieben Brief und die Kiste. Wie gern wäre ich heute nach Naumburg gekommen, aber wir hatten keinen Spaziergang. Außerdem ist auch das Wetter recht schlecht. Mir geht es übrigens ganz so wie dir; die Ferien scheinen mir schon Monate hinter mir zu liegen und ich wünschte sehr, daß wir uns bald wiedersehen. Es sind noch fünf Wochen bis Pfingsten; da kann ich doch wieder eine kurze Zeit in Naumburg sein und dann wieder noch fünf Wochen, dann sind die schönen Hundstage. Ich habe jetzt immer viel zu thun und lerne immer neue Primusaemter kennen. Hr. D. Heine ist nun fort und wir sind jetzt ohne Klassenlehrer; nächste Woche soll aber Hr. Dr. Heinse kommen. — Der heutige Tag wurde mit einem Aktus im Turnsaal gefeiert; es wurden mehrere Hymnen gesungen; Hr. Insp. Niese hielt dann eine Rede, worin vorzüglich Melanchthons Lebensweise in sehr hübschen Lebensbildern wiedergegeben wurde. Sonst sind gar keine weiteren Feierlichkeiten. Sonntag kann ich nicht kommen, das weißt du schon. Könnt ihr nicht irgend wann bei schönem Wetter einmal herauskommen?
Für alles was du mir geschickt hast, danke ich vielemals; nur Stahlfedern hätte ich gern noch gehabt, da ich sie sehr nöthig brauche. Meine neuen Hosen gefallen mir ganz gut; werden sie denn auch viel aushalten? Heute folgt außer der schmutzigen Wäsche die verlangten Beinkleider und Schlafrock. Mir fehlt es übrigens sehr an Vorhemdchen. Von den zweien die du mir mit herausgabst, folgt eins, das andere habe ich an. —
Meine liebe Mamma! Ich weiß noch gar nichts genaues über den Tod des lieben Onkels, wie es so schnell kam, wie das Begräbniß war, wie die liebe Tante sich befindet. Bitte schreib mir das doch oder erzähle es mir lieber mündlich.
Nun lebe recht wohl, meine liebe Mamma! Grüße Lisbeth! ihr gewünschtes Papier folgt. Aber schreib mir recht bald oder noch lieber komme heraus
zu Deinem
FWNietzsche.
Auch noch viele Grüße an den Onkel!