1860, Briefe 124–201
162. An Edmund Oehler in Gorenzen
25, 7. 60 N. a S. —
Lieber, Lieber Onkel!
So bin ich denn in Naumburg glücklich angekommen und habe die Unannehmlichkeit der Post und des Bahnhofs überwunden. In Eisleben wurde mir etwas unwohl und blieb bis zur Ankunft in Naumburg. Heute ist aber alles vorbei. Das Lutherhaus habe ich mir auch zeigen lassen, wo mich vieles interessirt hat. Hr. Oberpfarrer Jahr erwartete daß wir mindestens noch Mittag dablieben und war sehr freundlich; er läßt dich vielemal grüßen. die Postunterhaltung führte ein junger Reisediener — langweilig und albern. Die drei Stunden auf der Eisenbahn trocken und eintönig, das Gespräch in dem Wagon waschfrauenmäßig, der Weg nach Naumburg naß und regnerisch. Der Onkel Oskar war ausgegangen und kam erst später zurück. Ich habe ihn noch mancherlei erzählt und mich dann abgemattet zu Bett gelegt. Heute Morgen hat mich Wilhelm ganz mit hinausgenommen. — Das war ein sehr fragmentarischer Reisebericht. Nun aber lieber Onkel muß ich dir noch schriftlich danken, da ich es mündlich nicht konnte. Glaub’ mir, ich war gestern Abend geradezu etwas niedergeschlagen und sehnte mich wieder nach dem gemüthlichen Gorenzen zurück wo ich so wunderschöne Tage verlebt habe. Es kommt mir jetzt alles so oede und traurig vor, besonders da heute ein düsteres Wetter ist, daß ich meine Gefühle nur mit denen vergleichen kann, die das Ende der Ferien und die Rückkehr nach Pforta hervorruft. Nimmermehr werde ich auch dieses schöne ruhige Leben, diese herrlichen Spaziergänge vergessen können. Ich denke jetzt fast fortwährend an Gorenzen und stelle mir jeden Augenblick vor, was ihr jetzt anfangt und was wir um diese Zeit thaten. Wie geht es denn heute der Frau Wintern? Grüße sie noch vielemal von mir; ich lasse ihr recht baldige Besserung wünschen. Auch an den lieben Hr. Kantor denke ich oft im Geiste noch für seine Güte mich bedankend. Zu guter allerletzt aber sage ich dir lieber Onkel meinen größten Dank für alle deine Liebe und Güte; sei versichert daß ich diese schöne Zeit nie vergessen werde. Lebe recht, recht wohl und denke mitunter auch wieder einmal
an Deinen dich innig liebenden
FW Nietzsche