1870, Briefe 55–117
89. An Wilhelm Vischer(-Bilfinger) in Basel
Maderanerthal Montag 8 Aug. 1870.
Verehrtester Herr Rathsherr,
in der gegenwärtigen Lage Deutschlands darf Ihnen mein Entschluss nicht unerwartet sein, dass auch ich meinen Pflichten gegen das Vaterland zu genügen suche. In dieser Absicht wende ich mich an Sie, um mir — durch Ihre Fürsprache bei dem wohllöbl. Erziehungscollegium — Urlaub für den letzten Theil des Sommersemesters zu erbitten. Mein Befinden ist jetzt derart gekräftigt, dass ich ohne jede Bedenklichkeit als Soldat oder als Krankenpfleger mich nützlich machen kann. Dass ich aber auch das geringe Scherflein meiner persönlichen Leistungsfähigkeit in den Opferkasten des Vaterlandes werfen muss, das wird niemand so natürlich und billigenswerth finden als gerade eine schweizerische Erziehungsbehörde. Wenn ich auch mir wohl bewusst bin, welcher Kreis von Pflichten in Basel von mir auszufüllen ist, so könnte ich mich — bei dem ungeheuren Rufe Deutschlands, dass Jeder seine deutsche Pflicht thue — doch nur mit peinlichem Zwange und ohne wirklichen Nutzen in ihrem Banne festhalten lassen.
So viel ich vor drei Wochen gehört habe, ist Herr Mähly im Stande und gern bereit, seine Stunden im Pädagogium wieder zu übernehmen, und vielleicht wird Herr Hagenbach oder Herr Geizer bestimmt werden können, in diesem ausserordentlichen Falle den griechischen Unterricht der dritten Klasse in diesem Semester zu Ende zu führen; jedenfalls werde ich persönlich, falls Sie mir die Erlaubniss dazu geben, diese Herren um Unterstützung bitten.
Ich komme sofort nach Basel, um die Entscheidung einer wohllöbl. Erziehungsbehörde zu vernehmen und noch einige Anordnungen zu treffen. Bis dahin empfehle ich mich Ihrer Gewogenheit, die mir hoffentlich auch in diesem Falle zur Seite stehen wird.
Mit ehrerbietigem Grusse
Ihr
ergebenster
Dr. Friedr Nietzsche
Prof. o. p.