1870, Briefe 55–117
62. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, vermutlich 13. Februar 1870>
Dieser Brief ist nur für Dich
Liebe Lisbeth,
Ich theile Dir folgendes unter höchster Diskretion mit.
Oskar in Halle bittet mich soeben brieflich darum, ihm auf ein Jahr 200 Thaler (pro 5) zu leihen und ich beeile mich, da er das Geld, wie es scheint bald braucht, Dir meine Einwilligung kundzuthun. Die Hauptsache ist, daß kein Mensch, auch unsre Mutter nicht, eine Silbe davon erfährt (wegen der lästigen Familiengeschwätzigkeit und überhaupt!) Bitte, richte die Sache so geschickt wie nur möglich ein und besorge sie sogleich. Ich werde heute Oskar schreiben, daß Du die einzige Mitwisserin bist und ihm übermorgen das Geld schicken wirst. Wohnung: Halle Steinweg Nr. 24. Schreibe kein Wort dazu: es ist so anständiger. Aber hebe die Postanweisung auf.
Auch danke ich Dir schönstens für die Geburtstagsbesorgungen. Auch habe ich mit Staunen von Deinen Ballerfolgen gehört: es war doch besser, daß Du den Winter nicht in Basel zugebracht hast. Es ist übrigens schrecklich winterlich: ich komme soeben aus der Tribschener Einsamkeit zurück, ganz eingewickelt in Wagnersche Tücher und Decken. Unsere Freundschaft ist größer denn je. — Von Rohde habe ich gar keine Nachricht und seit lange nicht: was mir in der unheimlichen Athmosphaere von Rom sehr bedenklich ist: daß seine Briefe, weil sie Nachrichten vom Concil enthielten, unterschlagen sind, ist meine geringste Sorge. Ich will morgen an Franz Liszt schreiben, daß er mir über ihn Nachricht geben soll.
Sehr in Eile, aber deshalb
doch mit Herzlichkeit
Dein Bruder.
Schönste Grüße an die mittelalterliche (44?) Mutter.