1870, Briefe 55–117
115. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 23. Dezember 1870> Freitag Abend 5 Uhr.
Meine liebe Mutter und Schwester,
noch habe ich gerade ein Stündchen frei, um Euch recht angelegentlich zu danken: und ich hoffe daß mein Dankebrief am ersten Feiertag eintrifft, so daß Ihr an diesem Tage doch wenigstens ein Lebenszeichen von mir bekommt. — Je kärglicher meine Bescheerung für Euch ausgefallen ist, um so reichlicher die Eure für mich — nach der Lehre daß Einer immer besser wegkommt als zwei. Alles, was Ihr mir zu mäßigem Gebrauche dichterisch angerathen habt, ist glücklich in meine Hände gelangt, auch der Senker der Ampelpflanze. Nur der Kamm ist bis jetzt unsichtbar. Der Teppich hat mir viel Freude gemacht. Vor dem Bett wollte er sich nicht recht machen; er contrastirt mit der einfachen Schlafkammer zu sehr. Jetzt ist er in die Stube gelegt und zwar gleich an die Thür. Hier habe ich einen der alten Teppichstreifen weggenommen und ihn unter den Schreibtisch gelegt — wo ein Teppich für meine Füße nöthig war.
Freilich überstrahlt der neue Teppich alle vorhandenen Farben: nun, die Zeit wird das Ihre thun, diese Pracht zu mäßigen — nach dem Satze
„Übe immer Maß und Ziel,
Teppich! prange nicht zu viel!“
Die Königlichen Büsten zieren das Zimmer, wenn mir gleich diese blutgetränkten Herrlichkeiten auf die Dauer entsetzlich vorkommen. Nun, in Gyps erträgt man diese Herren, in natura weniger. Genug, daß ihre Standbilder bereits zur Seite der Lampe glänzen.
Die Ampel, wie Ihr Euch wohl auch vorgestellt habt, ist mir etwas recht Angenehmes, besonders wenn erst so ein lebendes Wesen, wie die Ampelpflanze darin sitzt und eifrig die schlechten Dünste des Zimmers aufsaugt.
Die frommen Wünsche für das Porte-monais sind so gut als es selber. Ich habe es sofort in Dienst genommen und heute bereits 500frs.aus ihm ausgegeben (heute ist Rechnungstag, Schneider und die Buchhandlungen usw sind bezahlt)
In Summa: auch alles Übrige war gut gewählt und „luschtig“, wie man hier sagt — nur die Absenz des Kammes bekümmert mich.
Die letzte Zeit war recht angreifend. Auch durch Geselligkeiten. Ich hatte zwei Abende Herrengesellschaft. Heute Abend bin ich bei Gerkrats, und Schönberg kommt von Freiburg dahin.
Morgen gehts nach Tribschen. So eben bekomme ich noch ein Telegramm von Wagner: er ladet mich zur Probe der Musikaufführung ein, die morgen, gleich nach meiner Ankunft in Luzern, im Hôtel du lac, ohne jedes Wissen der Frau Wagner, stattfinden wird.
Meine Geschenke sind diese: für Wagner habe ich ein von ihm längst gewünschtes Lieblingsblatt von Albr. Dürer „Ritter, Tod und Teufel“ das mir durch glücklichen Zufall in die Hände gekommen. Für Frau Wagner den bezeichneten Aufsatz, den ich selbst schön abgeschrieben habe. Für Herrn Richter eine Cigarrentasche in grünem Safian. Für die Kinder kleines Spielzeug aller Art.
Alles kommt mir recht schicklich vor. Ich freue mich sehr auf diese nächste Woche.
Ich lese wieder von einem neuen Ausfall in Paris und zwar gegen die Garden: was wieder Besorgnisse macht. Neulich habe ich an Gersdorff geschrieben und Wagners Photographie nebst Autograph beigelegt.
Rohde hat mir in schönster Weise von sich Nachricht gegeben: er ist in Kiel Privatdozent und hat 5 Zuhörer. (Es giebt nämlich nur 6 Philologen dort)
Nun wünsche ich Euch einen guten Abend, nochmals dankend und meinerseits um so mehr, als mir meine Sendung gar zu ärmlich vorgekommen ist. Aber es hilft nicht. Wir sind nun einmal nur Professor, ohne Aussicht, Millionär zu werden, ja ohne auch nur es zu wollen.
Von Tribschen aus schreibe ich Euch wieder.
Mit herzlichen Grüßen und der
Bitte fürlieb zu nehmen Euer
Fritz.