1870, Briefe 55–117
81. An Cosima von Bülow in Tribschen
Basel Sonntag. <19. Juni 1870>
Verehrteste Frau Baronin,
wir haben Ihnen zwei herrliche Tage zu danken, ich sogar im Grunde vier, weil ich alles was meinen Freund Rohde berührt mitempfinde und somit diesmal doppelt geniessen konnte. R. der am Tage darauf von Basel abreiste, gestand mir den Höhepunct seiner ganzen fünfzehnmonatlichen Reise ins „Blaue“ in Tribschen erlebt zu haben; er hat eine Verehrung und Bewunderung der ganzen gesammten dortigen Existenz mit davon getragen, die durchaus etwas Religiöses hat. Ich verstehe, wie die Athener ihrem Aeschylus und Sophocles Opferstätten errichten konnten, wie sie dem Sophocles den Heroennamen „Dexion“ gaben, weil er die Götter in seinem Hause aufgenommen und bewirthet habe. Dies Dasein der Götter im Hause des Genius erweckt jene religiöse Stimmung, von der ich berichtete. —
Hier sind die beiden Aufsätze, recht spät: aber der Abschreiber hat etwas gebummelt und der Buchbinder sich nicht beeilt. —
Meine Arbeitsnoth ist noch etwas gesteigert worden. Wenn nur meine Wünsche in Erfüllung gehen, und ich meinen Freund Rohde als Collegen in die Nähe bekomme (nach Freiburg) —
In Sachen Baireuths habe ich mir überlegt, dass es für mich das Beste sein dürfte, wenn ich auf ein Paar Jahre meine Professoren-thätigkeit einstelle und auch mit ins Fichtelgebirge wallfahre. Das sind so Hoffnungen, denen ich mich gern hingebe. —
Über Fidi habe ich mich sehr gefreut: es war das erste Mal, dass ich ihn in der rechten Umgebung und Beleuchtung der freien Natur sah, und wie gesund und hoffnungsreich erschien er mir da!
— — Ich muss schnell schliessen: man kommt, wohl irgend ein „Scholar.“
In treulichem Gedenken
Ihr ergebenster
F. N.