1865, Briefe 459–489
477. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Bonn am 5t. August <1865>
Meine liebe Mamma und liebe Lisbeth,
das sind nun die letzten Zeilen die Ihr überhaupt von mir aus Bonn erhaltet. Sie sollen mit einem herzlichen Danke beginnen; denn Euere lieben Briefe enthielten außer der werthvollen Beilage auch eine Nachricht, die mich auf das anmuthigste überrascht hat: daß Ihr mit mir in Leipzig zusammen sein wollt. Eine höchst glückliche Idee! Aber sehr kühn, wie ich es nicht geglaubt habe, besonders von dem bekannten Pusselchen, das einen Winter in Naumburg mit seinen Bällen und Soireen sicher sehr ungern aufgiebt. — Ich habe in diesen Tagen auch noch eine andre große Freude gehabt. Ich habe von dem Oberlehrer Dr. Mushacke in Berlin eine so überaus freundliche Einladung für den Oktober nach Berlin empfangen, daß ich sie nicht gut abschlagen kann, noch weniger abschlagen möchte. Sein Sohn studirt mit mir zusammen, ebenfalls ein Philolog und wird auch mit nach Leipzig gehn. So würde ich denn etwa am 1 Okt. abreisen und den 20 Okt. mit dem jungen Mushacke in Leipzig eintreffen, wo Ihr während dieser Zeit den Umzug besorgt habt und Euch ein wenig eingerichtet habt. Die ganze Sache ist sehr billig, die Familie sehr liebenswürdig.
Dagegen werde ich voraussichtlich nicht an dem Jenenser Fest Theil nehmen können, und zwar bloß wegen meiner Gesundheit. Ich habe jetzt so viele und häufige Schmerzen, daß ich trotz der strengsten Diät und der größten Vorsicht jetzt eigentlich schlimmer daran bin als je. So ein Fest regt mich zu sehr auf und bringt im Gefolge kleine und größere Diätfehler. Es ist mir sehr schmerzlich, besonders nachdem mir von der Frankonia eine ehrenvolle Entlassung mit Band zu Theil geworden ist.
So bald ich meine vielen und sich überstürzenden Geschäfte beseitigt habe, komme ich, denn ich sehne mich darnach in Eurer Pflege bald wieder mich wohlzufühlen. Jetzt ist mein Zimmer das reine Bureau; immer brennt das Licht, denn ich schreibe einen Brief nach dem andern, siegle und schicke ihn fort. Eine Unmasse Sachen sind zu regulieren insbesondre noch für den Gustav-Adolfverein. Dann treten Paquete an und Briefe und Rechnungen und glücklicher Weise regnet es draußen fortwährend.
Ich denke, daß ich möglicherweise schon nächsten Mittwoch bei Euch ankommen kann. Richtet es doch mir zu Gefallen so ein, daß ich die erste Zeit recht eingezogen bei Euch leben kann und nicht mit unliebsamen Gesellschaften gequält werde. Wir werden uns ja so viel zu erzählen haben. Und nehmt es mir nicht übel, wenn ich ein bischen launisch sein sollte. Wirklich man wird leicht einmal bei diesem Zustand ärgerlich und moquant.
Den Koffer mit Wäsche und den Büchern für die Ferien und den Kleidungsstücken schicke ich mit Post. Das Bett mit den Büchern als Fracht.
Ich freue mich ungemein auf Euch, wir werden recht angenehme Tage mitsammen verleben.
Auf Wiedersehn liebe Mamma und liebe Lisbeth! Schreibt ja nicht wieder, ich werde schon an alles denken und alles auf das Schönste besorgen.
Euer F. W. N.