1865, Briefe 459–489
475. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Bonn, kurz nach dem 10. Juli 1865>
Liebe Mama und Lisbeth,
Da ist mir ja eingefallen, daß am Tage nach Deinem Geburtstag, liebe Lisbeth, die Tante Riekchen ihren Geburtstag zu feiern pflegt.
Mein Glückwunsch kommt nun ein bischen spät, aber doch nicht zu spät.
An Deinem Geburtstag, den Du wahrscheinlich durch einen großen Jungfrauenkaffé gefeiert hast, habe ich am Nachmittage zum ersten Male in diesem Jahre wieder componiert. Und zwar mit energischer Wuth, gleich alles fertig. Da Dein Geburtstag doch die Ursache sein muß, so sei die Composition Dir noch nachträglich dedizirt. Es ist ein Lied im höchsten Zukunftsstile mit einem natürlichen Aufschrei und dergleichen Ingredienzen einer stillen Narrheit. Zu Grunde liegt ein Gedicht, das ich als Untersecundaner gemacht habe und zwar in Gorenzen. Ein Fischermädchen, das sich nach ihrem Schatz sehnt — voilà le sujet!
Sonntags war ich in Koblenz, und besuchte Kuttig, der bei Frau Generalsuperintendent Schmidtborn wohnt, die mich zu Mittag einlud und eine schöne Tochter hat, die aber sehr groß ist, was nicht mein Geschmack ist, da ich mehr die Pusselchen liebe, was eine Schmeichelei für meine Lisbeth sein soll, die ja ein Pusselchen ist.
Entschuldige diesen nicht gerade geistreichen Satz.
Heute wird wahrscheinlich Kuttig seinen Gegenbesuch machen.
Es ist draußen ein immenses Regenwetter. Es war scheußlich heiß. Man hätte eigentlich eine Prämie dafür ausgezahlt bekommen müssen, daß man überhaupt noch lebte. — Besonders bei meiner Korpulenz. —
Ich leide heftig an Rheumatismus.
Ich habe fabelhafte Reiselust. Ein sehr guter Bekannter hat mir eine Reise proponirt, die er nur in meiner Begleitung machen will. — über Ostende nach Paris und über Lüttich zurück. Mit 100 Thaler läßt sich alles herrlich machen.
Was sagt Ihr denn dazu?
Euer Fritz.