1865, Briefe 459–489
462. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Bonn, Ende Februar 1865>
Liebe Mama und Lisbeth,
die Wirkung Eurer letzten Briefe und der Geldsendung war unleugbar eine bittersüße. Einestheils muß ich natürlich froh sein, meine Geldangelegenheiten jetzt ordnen zu können und mit freierem Blick das nächste Semester herankommen zu sehn. Dann aber war durch Deinen so wohlmeinenden Brief, liebe Mama, in diese Freude so viel Wermuth gemischt, daß ich erschrocken und entrüstet, ohne recht zu wissen worüber, Geld und Brief von mir schob und in Gedanken versank.
Die Resultate dieser Gedanken will ich durchaus nicht verhehlen. Ich muß mir allerdings Schuld geben, nicht ganz meinen Verhältnissen nach gelebt zu haben. Sondern ich habe in dem Style und der Gewöhnung fortgelebt, in der ich mich vordem befand dh. ohne viel Aufwand, aber auch nicht beschränkt und kärglich. Das ist richtig, daß ich wohl nie den Eindruck eines armen Menschen gemacht haben werde.
Dies ist vielleicht eine Verkennung unseres Standpunktes. Es wird mir recht schmerzlich vorkommen, anders leben zu müssen.
Dazu kommt, daß ich vielleicht nicht in allen Fällen möglichst praktisch gehandelt habe. Aber ich habe viel gelernt, wie man sich einrichten kann.
Endlich sind meine Neigungen für Musik und Theater etwas kostspielig, während ich bedeutend weniger als andre durch Kneipen und Essen verbraucht.
Aus diesen drei Gesichtspunkten betrachte jetzt meinen Aufwand. Als weiter<er> kommt noch einer hinzu, den ich leider anerkennen muß; und Du magst hieran die Wahrheit meiner Auseinandersetzungen prüfen. Die Verbindung kostet unleugbar viel Geld. Trotzdem wird sie mir von Tag zu Tage lieber. Die Pförtner haben sie jetzt in den Händen, und unser Geist ist so ziemlich der allgemeine.
Endlich bedenke, daß das Leben in Bonn nachweisbar viel theurer ist als auf andern Universitäten. Länger als bis Michaeli kann ich es hier nicht aushalten. Dann gehe ich, wenn es Euch gefällt, eben so wie Deussen, nach Berlin, um dort zu dienen. Ich habe darüber die genausten Erkundigungen eingezogen, und es ist die größte Eile nöthig. Ich werde in den nächsten Tagen an das Commando des 2 t. Garderegiments schreiben. Es ist aber zu befürchten, daß dies Regiment schon voll ist. Bei diesem Regiment ist nämlich der Dienst am leichtesten. Was den Geldpunkt betrifft, so dient man in Berlin entschieden billiger als in Halle, wo überdies die Behandlung der Freiwilligen seitens der Unteroffiziere viel unnobler ist. Es wird mir allgemein gerathen ja nicht zu zögern. Vielleicht war es doch unschlau daß ich nicht gleich das erste Jahr gedient habe. Aber erst Pforte — und dann Unteroffiziere! Nein, „Freiheit liebt das Thier der Wüste!“
Dazu bin ich hier ordentlich in philologisches Fahrwasser gekommen.
D. Sommer kommt übrigens die Großfürstin von Rußland nach Goslar auf längere Zeit. Ich hätte Lust mich ihr bei Gelegenheit vorzustellen. —
Das waren alles geschäftliche Notizen, ich beginne jetzt ein neues Blatt und beschließe die Debatte über das Budget und die Militärnovelle.
gez.
Fritz.
N. B. Sendet mir ja noch vor meiner Abreise eine vom Gericht bestätigte Abschrift des Paupertätszeugnisses. Ich muß das Zeugniß noch einreichen wegen der Stundung der Collegiengelder.