1865, Briefe 459–489
466. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Bonn, 10. Mai 1865> Mittwoch.
Liebe Mama,
Du wirst Dich wundern, daß ich so bald schon wieder schreibe. Es ist aber eine dringende Angelegenheit. Die Sache ist einfach folgende.
Du weißt, daß ich nach unsrer Uebereinkunft um Stundung der Collegiengelder eingekommen bin. Erst gestern erfuhr ich die Antwort, nämlich, daß es zurückgewiesen worden ist. Gründe wurden mir gar nicht mitgetheilt. Wahrscheinlich fanden die Herren die Stundung nicht nöthig. Nun aber bin ich dadurch in die äußerste Verlegenheit gekommen. Natürlich kann ich nicht eher Collegien annehmen, bevor ich Geld habe. Der Termin aber, wo es überhaupt noch möglich ist, Collegien anzunehmen, ist in ein paar Tagen abgelaufen. Geld habe ich nicht. Nicht einmal das von Pforte, weil ich das nicht eher bekommen kann, als bis ich ein Zeugniß als actu studens mir geholt habe. Dies Zeugniß kann ich nicht bekommen, bevor ich Collegien nicht angenommen habe.
Ich denke, daß ich alles möglichst deutlich dargestellt habe. Ich brauche also auf der Stelle 25 Thl. wodurch das Semester allerdings um 25 Thl. theurer wird. Ich bin ärgerlich mich in diese Stundungsgeschichte überhaupt eingelassen zu haben. Wozu sich Vergünstigungen erbitten, die eigentlich keine Vergünstigungen sind, und die etwas Beschämendes haben, wenn man sie nicht einmal erlangt!
Entschuldige also, liebe Mama, wenn ich Dich um die möglichste Eile bitte; die Sache ist mir unangenehm genug. Alles, was mich mit dem leidigen Geld beschäftigt, ist mir ein Greuel. Wozu giebt es überhaupt dies Gewächs!
Ich suche in eine mildere Stimmung zu gerathen.
Das Leben fließt hier ziemlich gleichmäßig dahin. Die Collegien sind sehr interessant, die Hitze sehr bedeutend, die Gegenden wunderschön. Mein Appetit ist möglichst gering. Die Nächte werden mir häufig durch Straßenunruhen gestört. Mittags esse ich allein auf meiner Stube. Mein Kaffe, den ich mir selbst bereite, ist meistens gut.
Meine Absicht, Michaeli in Berlin als Militär einzutreten, habe ich ganz aufgegeben. Ebenso bestimmt habe ich mir aber vorgenommen, Bonn, Michaeli zu verlassen, weil ich länger als ein Jahr doch nicht in der Verbindung sein kann und mag. Zeit und Geld rathen dazu. Ich muß gestehn, daß ich über die nächste Universität schwankend bin. Zweierlei soll mich bestimmen, abgesehn von der Güte der Fakultät. Ich möchte das Süddeutsche Leben kennen lernen oder auch eine ausländische Universität besuchen. Sodann würde ich mir den Ort wählen, wo ich nicht zu viel Bekannte hätte, durch die man gleich in bestimmte Kreise gezogen wird. Berlin zu besuchen habe ich, wenn ich nicht dort dienen will, durchaus keine Lust.
Du siehst, daß ich noch unentschlossen bin. Ich bitte Dich aber, nicht mit anderen Menschen über diesen Punkt zu sprechen. Es würde mir sehr lieb sein, freie Wahl darin zu haben. Was den Geldpunkt betrifft, so gehe ich von der Ansicht aus, daß an Orten, wo ich nicht durch Verbindungen und Freunde zu einer Art von Conventionellen Luxus genöthigt bin, ich wenig brauche, um anständig auszukommen. Ich meine also, daß dieser Punkt bei der Wahl der Universität nur wenig in Betracht kommen kann.
Immerhin spreche ich meine große Freude darüber aus, daß ich gerade mein erstes Jahr in Bonn zugebracht habe. Es kommt ja wesentlich darauf an, als Philologe Methode zu lernen; und wo besser als hier? Gerade der Anfang des Studium, die Gewöhnung an eine bestimmte Richtung ist das Wesentliche. Und ich hoffe, mit dem Gefühl von Bonn fortgehen zu können, das, was es darbietet, reichlich genossen zu haben. Mein Plan ist es, hier auch mein Examen zu machen.
Nun, meine liebe Lisbeth, Du hast heute von mir noch kein freundliches Wort gehört. Du wirst Dich wundern über das verdrießlich ernste Wesen Deines Bruders. Ich werde Dir nächstens einmal lauter schöne Dinge schreiben. Heute grüße ich Dich herzlich, wie auch die lieben Tanten.
Lebe recht, recht wohl, liebe Mama.
Dein Fritz.
Bonn, Bonngasse 518.