1865, Briefe 459–489
460. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Bonn, 2. Februar 1865>
Meine liebe Mamma,
ich möchte vor allen Dingen eine gute Feder haben, um Dir einen recht hübschen Brief schreiben zu können. Denn diese hier kritzelt mir viel zu sehr. Sodann möchte ich Dir eine frische blühende Hyacinthe schicken, denn keine Blume erinnert mich so lebhaft an Deinen lieben Geburtstag als diese. Endlich möchte ich so viel Vermögen haben, um Dir einen kleinen Morgenbesuch zu machen und meine besten, herzlichsten Wünsche in persona auszusprechen.
„Da’s aber nicht kann sein,
Bleib ich allhier allein.“
Das ist traurig, nicht wahr? Aber in zwei Monaten ist auch diese Zeit der Trennung überwunden. Heute aber werden wir recht, recht lebhaft an einander denken, und wenn Ihr zu Mittag Karpfen eßt, so werde ich einen Wohlgeschmack davon auf der Zunge haben.
Wie sehr habe ich mich über Deinen letzten recht ausführlichen Brief gefreut. Hatte ich doch seit Neujahr noch keinen Brief bekommen. Vor ein paar Tagen habe ich nun freilich vom Onkel Edmund vielerlei über sein Befinden und über Familienverhältnisse gehört. Dagegen vermisse ich immer noch Nachricht von Gustav und Wilhelm, denen ich vor und nach Weihnachten geschrieben habe. Hat Euch Gersdorff und Kuttig einmal wieder besucht? Beide sind an der Reihe mir wieder zu schreiben, aber Gersd. wird wenig Zeit des bevorstehenden Examens wegen haben.
Von meinem Leben kann ich Dir mancherlei erzählen. Viele, ungewöhnlich viele Kunstgenüsse. Donnerstag ein Gesangvereinsconzert von einer Vortrefflichkeit, wie ich noch keines gehört. Freitag die Friederike Goßmann in meheren reizenden kleinen Lustspielen. Von ihr muß ich Euch noch viel erzählen, Du liebe Lisbeth würdest fabelhaft „enchantirt“ sein, wenn Du sie gesehn. Sie trat auf in der Grille, in der Widerspenstgen Zähmung, in „Feuer in der Mädchenschule“ und „Sie schreibt an sich selbst“, zuletzt „Sie hat ihr Herz entdeckt.“ Wir waren natürlich sammt und sonders in sie verliebt, heulten auf dem Kneipabend die Lieder, die sie gesungen und rieben auf ihr Wohl einen Salamander. In Köln habe ich Sonntag die Bürde-Ney gehört als Valentine in Meierbers Hugenotten. Nicht wahr, das ist sehr viel hintereinander? Was meine Ferien betrifft, so kann ich noch nichts Bestimmteres schreiben, als daß ich Anfangs April kommen werde. Das ist nun sicher, daß wir für die Zeit unsres Zusammenseins ein Festprogramm entwerfen müssen. Länger als ein Jahr kann ich übrigens bestimmt nicht in Bonn bleiben, das ist mir deutlich. Daß ich den nöthigen Nutzen von Bonn ziehe, das hoffe ich. Daß der Aufenthalt viel Geld kostet, das weiß ich. Ich lebe durchaus in keiner Beziehung verschwenderisch, aber die Hausrechnungen sind immer sehr hoch. Ich will Dir nur schreiben, was ich augenblicklich alles bezahlen muß — alles das, was noch tüchtig warten kann, ungerechnet — noch 30 Thl. an meinen Wirth, 10 Th. an einen Freund, anfangs Januar entliehen, und mindestens 15 Thl. an Handwerker, Kneipwirthe usw. Das ist doch recht böse. Ich erzürne mich oft darüber, daß Geld und Metall so wenig Stand hält. Spätere Semester werden gewiß viel billiger werden. Aber, Maman, wenn Du glaubst, daß ich mit 30 Thl. pr. Mon. auskommen kann, so ist das leider sehr unrichtig.
Das ist indessen alles weniger angenehm als abstoßend. Deshalb gehe ich darüber hinweg und spreche bloß den Wunsch aus, möglichst viel Geld möglichst bald zu bekommen, da es eine unangenehme Empfindung ist, alle Morgen einige Philister an die Thür klopfen zu hören, ohne Geld zu haben.
Daß Euch die Lieder im Allgemeinen gefallen, freut mich recht sehr. Ich habe über dieselben mit dem hiesigen Direktor Brambach ausführlich gesprochen. Nun habe ich mir zwar fest vorgenommen, in diesem Jahre nichts zu componieren. Er rieth mir sehr an, Unterricht im Contrapunkt zu nehmen. Aber ich habe kein Vermögen dazu. Meine Gründe, nichts zu componieren, will ich Euch mündlich mittheilen. Weißt Du nicht ein hübsches Geschenk, das ich dem Manne machen könnte? Ich nehme nicht gern Gefälligkeiten an, wenn ich nicht wieder welche erweisen kann.
Noch dies: ich bin für den hiesigen Gustav-Adolfsverein thätig. Nächstens werde ich darin einen Vortrag halten.
Noch dies: meine Wendung zur Philologie ist entschieden. Beides zu studieren ist etwas Halbes.
Und zum Schluß, liebe Mama, wende ich mich wieder zu Dir, um Dir noch einmal das Beste und Schönste zu wünschen, was ich nur kann. Wir wollen alle drei recht angelegentlich wünschen, daß Dir das folgende Jahr ohne Störungen und Betrübnisse vorübergehe, und wir, meine liebe Lisbeth und ich, wollen mit besten Kräften dazu beitragen. Daß Du mich auf allen meinen Wegen mit den herzlichsten Gedanken begleitest, weiß ich, liebe Mama. Und daß selbst das Leben auf der Universität reich an unangenehmen Erfahrungen und inneren Mißstimmungen ist, das ist leider wahr. Drum wollen wir mit liebevollem Thun und Denken unsre Lebensbahnen uns gegenseitig ausschmücken.
Lebe recht, recht wohl, liebe Mama.
Grüße an die lieben Tanten!
Dein Fritz.