1865, Briefe 459–489
463. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Bonn, Ende Februar 1865.>
Liebe Mama und Lisbeth,
ich erzähle Euch nun einiges über meine letzten Erlebnisse. Das, was seit einigen Wochen alle Köpfe in den Rheinlanden beunruhigt hat, ist der große kölnische Carneval, an dem ich mich aber durchaus nicht betheiligt habe, und zwar aus allen möglichen Gründen, jedenfalls zum größten Erstaunen meiner Bekannten und Freunde. Ich bin vielmehr während dieser Tage bei Deussens gewesen, wo ich doch das fand, was man ein Semester lang entbehrt hat, nämlich Familienleben. Wir sind viel zu Fuß gegangen, was bei dem unergründlichen Schmutze etwas sagen will. Die Rückreise machten wir über Koblenz, das sich uns mit dem düstern stark befestigten Ehrenbreitstein, den unzähligen Lichtern, dem mächtigen Rheinstrom Abends um 10 Uhr sehr schön präsentirte. Bis zu meiner Abreise habe ich noch sehr viel zu thun; eine philologische Arbeit will ich noch Prof. Jahn abgeben, einen Vortrag über die kirchlichen Zustände der Deutschen in Nordamerika will ich im Gustav Adolfsverein halten, und noch manches Kleinere wartet auf mich.
Besonders hat mich in der letzten Zeit noch erfreut, daß ich durch Prof. Schaarschmidt Zutritt zu der nobelsten Gesellschaft Bonns erlangt habe, zu der Réunion, die zumeist aus den Professorenfamilien besteht.
Was meine Abreise betrifft, so kann ich darüber durchaus noch nichts festsetzen. Vor dem 18ten braucht ihr mich nicht zu erwarten. Ich schreibe aber nicht wieder vorher. Wenn ich überraschend komme, so ist es um so schöner. Aber einen Tag zu bestimmen ist mir der Arbeiten wegen unmöglich. Alles was Ihr schreibt zieht mich unglaublich hin nach Naumburg. Außerdem glaube ich sogar noch die Pförtner Abiturienten zu treffen, ein Gedanke, der mich besonders ergötzt. Ich nehme natürlich nicht zu viel Gepäck mit. Denn das ist auf den hessischen Bahnen sehr theuer.
Ob die Quittungen richtig ausgestellt sind, das weiß ich nicht. Vielleicht hättest Du mir etwas Genaueres darüber schreiben können. Auch den Brief von Caro hätte ich eher haben mögen. Es kommt alles recht spät.
Nun lebt recht, recht wohl! Wir werden uns wiedersehn, froh und heiter nach sechsmonatlicher Trennung. Bereitet alles recht hübsch vor. Wie schön, den Frühling in Naumburg erwachen zu sehn. Gestern war hier der erste schöne Sonnentag. Der Rhein und das Siebengebirge grüßen Euch!
Lebt recht wohl!
Auf Wiedersehn!
Euer Fritz.