1878, Briefe 675–789a
771. An Marie Baumgartner in Lörrach
<Basel,> 15 Nov 1878.
Verehrte liebe Frau Baumgartner, nur ein paar Worte!
Über Ihre Dichtungen als Gedichte nur eine Meinung zu haben wäre ganz und gar von mir unbescheiden. Genug, Sie scheinen mir im Elemente Ihrer Sprache und der kunstvollen Form sich heimisch zu fühlen; im Übrigen weiß wohl ein Gedankendichter wie Herr Prudhomme zu rathen.
Ihre Dichtungen aber als Wahrheiten betrachtet, die Sie sich und mir sagen: ja — da bedauere ich Sie ebenso sehr als ich mich beglückwünsche. Denn Sie haben an mir viel, viel weniger gefunden als Sie erwarteten, und ich weiß jetzt, daß ich unendlich mehr empfangen habe und besitze, als ich verdiene — nämlich eine zuverlässige treue Seele, welche überdies den Ehrgeiz hat, die Treue auf Erden mir gegen alle skeptischen Einflüsterungen zu beweisen.
So empfinde ich es: thut es Ihnen wehe? — Ich hoffe nicht. —
Die letzten Bissen des Manuscriptes, die ich Ihnen gestern gab, sind am schwersten zu kauen, es beschämt mich, Sie so <zu> bemühen. Fangen Sie mit den letzten Seiten an und endigen Sie mit den vordersten. Oder wie Sie wollen.
Ganz und gar ergeben
und dankerfüllt
F N.
Wissen Sie, daß es seit lange meine Empfindung ist „ich verdiene alles das nicht, was ich an Freundschaft und Liebe erfahren habe“, daß ich mitunter gegen meine Freunde voll Verdruß bin, weil ich Ihnen nicht wiedergeben kann. So ist es: geben ist seliger schon als wiedergeben, aber immer nur nehmen, nehmen müssen — das kann einen unselig machen. Zu ändern ist es nicht, hier steht das Fatum vor uns.