1878, Briefe 675–789a
737. An Paul Rée in Stibbe
Basel, 11 Bachlettenstrasse. <gegen Ende Juli 1878>
Ach, lieber lieber Freund,
heute bin ich Ihnen einmal wieder lästig. Aber an wen mich wenden, da ein direkter Verkehr zwischen mir und meinem alten Freunde Gersdorff einstweilen auf dessen Wunsch unterbleiben muß? Ich habe nämlich von ihm damals als ich meinen eignen Haushalt einrichtete, 100 Thl. entliehen, also vor 2½ Jahr ungefähr. Jetzt ist besagter Haushalt völlig aufgelöst, meine liebe Schwester wieder zu unsrer Mutter definitiv heimgekehrt, mein Einsiedler-Thun neu, vernünftig und idyllisch eingerichtet: da will ich jene Schuld beseitigen und bedarf dazu Ihrer Vermittlung, Sie Armer! Nämlich: Sie werden ersucht, die 2 mitfolgenden Werthpapiere in Geld verwandeln zu lassen, von dem, was Sie dafür erhalten, 112½ Thaler an Gersdorff zu geben (nämlich 12½ als Zinsen nach Verabredung) und den Rest meiner Schwester zu schicken. —
Das ist so viel auf einmal verlangt, daß es mir grenzenlos unbescheiden vorkommt. Kommt es Ihnen auch so vor, so sagen Sie es, ich will’s wahrhaftig nicht wieder thun. Aber Sie sind gegenwärtig immer noch meine einzige Zugbrücke zum guten Gersdorff (dem armen Nerina-Närrchen und Nerino-schäfchen — Pardon!) In wenigen Tagen ziehe ich mich in die allerhöchste Einsamkeit und Verborgenheit zurück, der Sommer ist überstanden, schwer genug.
Ihr letzter Brief, wie alle Ihre Briefe thaten meinem Herzen wohl und erweckten wieder manche Hoffnungen. Bei allem Guten, was Sie thun und vorhaben, wird auch für mich der Tisch gedeckt, und mein Appetit ist sehr lebendig nach Réealismus, das wissen Sie.
Meine sonstigen Bekannten und Freunde (mit ganz wenigen Ausnahmen) befinden sich, als ob ich ihnen den Milchtopf umgestoßen hätte. Gott helfe ihnen — ich kann nicht anders.
Treu, obwohl heute sehr
unbequem (wie die Sommerfliege auf
meiner Hand)
Ihr Freund F Nietzsche