1878, Briefe 675–789a
729. An Carl Fuchs in Hirschberg
Basel. <kurz vor Ende Juni 1878>
Sie sind einer der Allerersten, lieber und werther Herr Doktor, welche mein Buch praktisch nehmen: darüber freue ich mich sehr, denn es beweist mir, daß die Wohlthat, welche ich mir selber damit erwies — auch noch übertragbar ist. Fühlen Sie jetzt, hinterdrein, nicht etwas von Höhenluft —; es ist etwas kälter um uns, aber um wie viel freier und reiner als im Dunst des Thals! Ich wenigstens fühle mich rüstiger und zu allem Guten entschlossener als je — auch zehnmal milder gegen Menschen, als in der Zeit meines früheren Schriftthums. In summa und im kleinsten Einzelnen: jetzt wage ich es, der Weisheit selber nachzugehen und selber Philosoph zu sein; früher verehrte ich die Philosophen. Manches Schwärmerische und Beglückende schwand: aber viel Besseres habe ich eingetauscht. Mit der metaphysischen Verdrehung ging es mir zuletzt so, daß ich einen Druck um den Hals fühlte, als ob ich ersticken müßte.
Bei Ihnen muß sich vieles innerlich ereignet haben, was mir eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, daß wir, gerade auf der neuen Basis, gut freund werden müßten. Sie segeln jetzt in ein unbekanntes neues Meer; es thut mir gar zu wohl, zu denken, daß ich Ihnen dabei den Muth nicht verdorben, daß Sie es verstanden haben, meine Freigeisterei, τὸ ἐμὸν πνεῦμα, selbst als Fahrwind zu benutzen.
Und nicht wahr? mein Gesicht bleibt Ihnen doch wieder Nietzschisch und nicht mehr Bülowisch? —
Das Orchester in Ihren Händen und unter Ihrem Geiste — ist mir eine höchst angenehme Vorstellung. Dahin mußte es kommen, im ganzen Plane Ihres Lebens: „am Ende ist der Sinn“, entsprechend Ihrem „im Anfang war der Unsinn“: was ich ganz glorios gesagt finde.
Bleiben Sie mir gut!
Immer Ihnen zugethan, obschon meine Augen mich zwingen, Ihren reichen Briefen das undankbarste Stillschweigen entgegenzusetzen. Aber Sie verstehen auch dies recht — nachdem wir überhaupt uns verstehen.
F. N.