1863, Briefe 340–403
371. An Elisabeth Nietzsche in Sangerhausen
<Naumburg, 4. August 1863>
Liebe Lisbeth!
Es ist heute mein letzter Ferientag, und für eine Zeit hat es nun wieder geschnappt. Gern möchte ich dir noch Nachricht davon geben, wie ich meine Tage vollbracht, da du leider abhanden gekommen bist, und ich dir nicht mündlich meine Abenteuer erzählen kann. Genug, daß ich auf der Straße von Wunsiedel nach Weißenstadt mich darüber ärgerte, daß du, wenn ich zurückkomme, verreist seist. Nun mag es dir recht wohl gehn und mir ist’s ebenso gegangen — arbeiten — nicht gerade gar nichts — erlebt — nicht gerade sehr viel — aber alles in einer netten, glatten Form, mit einem Anstrich von Eleganz und Leichtlebigkeit, aber auch in humoristischem Gegensatz mit einem starken Aufguß von baierischer Biergemüthlichkeit; ich bin ein wenig dicker geworden und habe mich von meiner Anstrengung durch tägliche Mittagsschläfchen wieder hergestellt. Jetzt nun — o jerum — bis zu nächsten Hundstagen lachende Aussichten auf nichts als Arbeit, Mühe, Schweiß.
Mein Leben in Plauen — du kennst es und kannst es dir vorstellen, meinen Brief an Mamma hast du auch gelesen, näheres, wenn es dir gefällt — was wir gegessen, gesprochen, gelesen, besucht, erfahren, spazierengegangen — kann ich dir mündlich mittheilen. Durchweg sehr niedliche Stimmung, ohne eingreifende Ereignisse, wie Ball oder Conzert, aber doch im Vollgenuß eines Privatlebens unter Verwandten. Dann bin ich eine Woche von dort verreist; notizenhaft will ich dir alles mittheilen; denke dir alles in novellistischem Style vorgetragen, und du hast manche interessante Scenen darunter.
Donnerstag. Wetter unsicher, Abschied, nach Ölsnitz, mit einem Handwerksburschen und Buchbinderlehrjungen, dort Schützenfest, Auszug, Diakonus Strubels, mit ihm über Schießhaus nach Voigtsberg, zurück, nach Mittag mit ihm nach Triebel, dort auf dem Wege Schulrevisionen von ihm, dem interimistisch<en> Rektor. Bei Pastor Strobels.
Freitag. Früh auf dem Kirchberg, („denkst du daran, mein...“?) nach Tische wieder nach Oelsnitz, den Abend auf dem Schießplatze, Volksfest, gemüthlich. Dort geschlafen.
Sonnabend. Fort bis Elster sehr heiter, auf und ab, in Pförtner Trapp, Waldfelsen mit rothen Blumen, Onkel Hugo Lehmann schon fort, nach Asch, böhmische Paßrevision, auf einem Leiterwagen, zu Stößens, Abends nach Neuhausen, baierischem Grenzort, dort mit dem Direktor getrunken bis 12. Dann in Asch geschlafen.
Sonntag. Turnerfahnenweihe, Volksfest, mit ausgezogen, Reden von Bürgermeister, von drei Damen, die auf den Hund kamen. Dann wieder nach Neuhausen, dort bis 1 Uhr Nacht. Mit baierisch., böhmischen, Grenzbeamten zusammen.
Montag. Um 9 Uhr fort nach Franzensbad, wo ich etwa ½2 eintreffe, hoher Luxus, Modejournale von Menschen, dort Conzert gehört, bis 5 mich unter den Puppen bewegt, unter Larven und Polinnen (kohlschwarz) die einzig fühlende Brust. Nach Eger, altes, berühmtes, grauschwarzes Schloß angesehn, alles katholisch, Heiligenbilder ganz bunt, dann um 8 noch fort durch Waldungen, mit einem Bierbrauer und Wirthschaftsbesitzer 3 Stunden noch gegangen, es regnet etwas. Ueber die baierische Grenze. Dorfkneipe, zwischen Fuhrmann und Hausknecht auf der Streu. Schnarcht gewaltig, stinkt nach Pferd.
Früh Dienstag um 5 fort durch Wald nach Wunsiedel 6 Stunden, durch und durch naß, im Kronprinzen umgezogen und table d’hôte gegessen, fin, auf die Luxburg, in Begleitung eines jungen Doktor, ein Berg in granitnen Trümmern, Felsenlabyrinth, mit langem Moose, Fichten durchwachsen, Durchbrüche, Schlünde, Brücken, Leitern. Zurück über Wunsiedel nach Weißenstadt, links Schneeberg und Rudolphstein, Abends um 9 Uhr dort im Löwen gut gespeist (Suppe Forellen Kartoff. Bier), sehr gut geschlafen (Sprungfedermatratzen, alles sehr elegant) gut gefrühstückt, recht gut bezahlt, fort nach den Waldstein
am Mittwoch, ein Gewitter mit starkem Regen, zwei Stunden darin aufwärts gestiegen, endlich Treppen und Leitern, Glashäuschen, umgezogen, wundervolle Weitsicht, weiße Nebelmassen aus den Schluchten nach dem Gewitter, herab nach Schwarzenbach zu, vielfach verlaufen, allmählich Landregen, in Schwarzenbach durch und durch naß auf Eisenbahn gesetzt, nach Plauen gefahren. Dort sehr erwartet. Sic! Was dort noch erlebt, nicht viel. Der Onkel Theodor sehr gefährlich krank. Am Sonntag bin ich wieder zurück gereist und habe sehr gemüthlich und nett mit der Mamma noch das Kirschfest verlebt. Nun ist’s aus. Grüße den Onkel und die Tante recht schön von mir, bleibe mir recht gesund, amüsir’ dich recht (mit deinen L--tnants), grüße auch in Gorenzen alles recht von mir und denke mitunter einmal an mich, wenn du zum Schreiben keine Zeit hast. Leb recht wohl! Gutes Thierchen!
Fritzchen!
Das Alumnuschen.