1863, Briefe 340–403
341. An Rosalie Nietzsche in Naumburg
Pforta am 12 Januar 1863morgens.
Liebe Tante.
Leider fällt auf Deinen lieben Geburtstag keiner meiner Spaziergänge, und ich kann deshalb nicht im Kreise aller Glückwünschenden dies schöne Fest feiern. Sei es mir darum vergönnt, in einigen Zeilen das auszusprechen, was ich von guten Wünschen für dich in meinem Herzen hege. Du hast mir immer so viel Liebe erwiesen; noch das letzte Weihnachten legt Zeugniß von dieser Liebe ab, die gern und mit vollen Händen giebt und die immer sorgt, ob es mir wohl geht, und immer bedacht ist, was mir noch fehle. Für diese Liebe zu danken und in schwachen Worten die Herzenswünsche auszudrücken, durch die ich einzig meine Dankbarkeit erzeigen kann, ist darum immer und an Tagen wie heute besonders eine meiner ersten und liebsten Pflichten gewesen; und mehr noch als diese wenigen Worte sagen können, magst Du mir selbst in meiner Seele lesen, liebe Tante!
Was soll ich nun noch alles aufzählen, was unserm kurzsichtigen Ermessen als wünschenswerth erscheint; alles, was Deine Seele erfreut und das Leben schmückt, ist mehr ein innerlicher Segen als ein äußerlich Gut, das hinfällig und vergänglich ist. Das aber wünsche ich Dir, daß nach Jahresfrist Du ein glückliches, herzerwärmendes Jahr wieder zu der Zahl der vergangnen hinzulegst und gestärkt in Herz und Muth die Zukunft als ein Geschenk hinnimmst, das nur erquickend und voller Segen sein kann.
Lebe recht wohl und glücklich!
Fritz.