1867, Briefe 535–558
553. An Rudolf Schenkel in Leipzig
Naumburg d. 5 Nov. 1867.
Mein lieber Vetter,
Du weißt, wie ich immer voller Pläne stecke und hast oft gelächelt, wenn ich Dir erzählte, auf welche neue Weise ich über das folgende Wintersemester disponirt habe. Diesmal hat mich das Schicksal völlig aus dem Sattel gehoben, oder richtiger, in den Sattel hinein, so daß ich unmöglich, wie es meine Absicht war, Ende Oktober nach Leipzig kommen konnte, um dort zu promovieren und alle die angenehmen Menschen und Orte wieder zu sehn, die mir meine Leipziger Vergangenheit so behaglich gemacht haben. Jetzt beim Lärm der tuba, beim Wiehern der Rosse, beim Rasseln des Geschützes erscheint mir mein damaliges Leben fast mährchenhaft; und fast wie ein Ton aus ferner, ferner Zeit kam zu mir die Nachricht von der akademischen Festlichkeit des 31ten Oktobers.
Freund Roscher war so aufmerksam, mir mitzutheilen, daß Du, lieber Vetter, durch Deine Abhandlung den schönen Ehrenpreis der Universität errungen hast, und zwar nicht auf dem Wege des Wilddiebstahls, sondern auf die rühmlichste, rechtmäßigste Weise: ein Glück, zu dem ich Dir meine besten Glückwünsche darbringe. Möge dies Ereigniß der festliche Heroldsruf sein, auf den Du in die Arena des Examens galoppirst, kühn und muthig, des Gelingens gewiß.
Behalte Deinen Vetter in
freundlicher Erinnerung
Friedrich Nietzsche
Kanonier der 2 Batt. der reitenden Abtheil.
des Feldartill.reg. Nr. 4.