1862, Briefe 292–339
337. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Pforta, 10. November 1862>
Liebe Leute!
Es thut mir leid, daß ich euch gestern nicht in Almrich treffen konnte; ich war aber verhindert, inso fern ich dispensiert war. In Bezug hierauf werde ich euch eine kleine Geschichte erzählen. Allwöchentlich hat einer der neuen Primaner die Schulhausinspektorenwoche d. h. er hat alles, was eine Reparatur in den Stuben, Schränken, Auditorien usw. nöthig macht, zu verzeichnen und einen Zettel mit all diesen Bemerkungen auf der Inspektionsstube abzugeben. Ich hatte vorige Woche dieses Amt; es fiel mir aber ein, dies etwas langweilige Geschäft durch Humor pikanter zu machen und schrieb einen Zettel, auf dem alle Bemerkungen in das Gewand des Scherzes gekleidet waren. Die gestrengen Herrn Lehrer waren darob sehr erstaunt, wie man in eine so ernsthafte Sache Witze mischen könnte, luden mich Sonnabend vor die Synode und diktirten mir hier als Strafe nicht weniger als drei Stunden Karcer und den Verlust einiger Spaziergänge zu. Wenn ich mir dabei irgend eine andere Schuld als Unvorsichtigkeit zumessen könnte, würde ich mich darüber ärgern; so aber habe ich mich keinen Augenblick drum bekümmert und nehme mir nur daraus die Lehre, andere mal mit Scherzen vorsichtiger zu sein. —
Ich habe übrigens die Kiste Tag für Tag erwartet, insbesondere die großen Stiefeln, an denen doch wenig zu machen war. Weiße Wäsche hatte ich noch für den Sonntag. Weiße Strümpfe fehlen mir sehr. Ich habe jetzt immer viel zu arbeiten, befinde mich aber dabei ganz wohl und wünsche nur daß das Wetter besser wäre.
Heute ist S. Martinstag und wir haben die übliche Martinsgans (natürlich in 12 Theilen) gegessen. In diese Zeit muß ja auch S. Niklas fallen. Das ist eine angenehme Zeit, dieser Uebergang von Herbst und Winter, diese Vorbereitung von Weihnachten, auf das ich mich so freue. Das wollen wir recht zusammen genießen. Schreibt mir recht bald. die besten Grüße an den lieben Onkel und die liebe Lisbeth!
Fritz.